Der Verrat
während diese mit seinem Rivalen schlief.
»Ich hörte Wisterie flüstern. Mitsuyoshi antwortete ihr, ebenfalls mit Flüsterstimme. Dann lachten beide.« Nittas Gesicht verzerrte sich vor Wut. Offenbar glaubte er, das Paar hätte sich über ihn, den betrogenen Liebhaber, lustig gemacht. »Ich konnte es nicht ertragen, noch länger zu lauschen.«
Plötzlich schien Nitta bewusst zu werden, dass er seine innersten Gefühle offenbart hatte, und seine Miene wurde wieder ausdruckslos. Er kauerte sich hin und blickte an Sano vorbei ins Leere. »Ich habe mich aus dem ageya gestohlen und bin zu meinen Männern ans Tor gegangen. Wir gaben den Torwächtern Geld und machten uns auf die Heimreise.«
Erregung erfasste Sano. Nitta hatte mit dieser Aussage zugegeben, am Schauplatz des Mordes gewesen zu sein – zu einem Zeitpunkt, als die Tat verübt worden sein konnte.
»Ihr habt das Gemach nicht betreten?«, fragte er.
»Nein«, antwortete Nitta entschieden. »Habe ich das nicht genug deutlich gemacht?«
»Habt Ihr Fürst Mitsuyoshi überhaupt gesehen?«
»Nein. Aber ich habe ihn gehört. Und das beweist, dass Mitsuyoshi noch gelebt hat, als ich das ageya verließ.« Nittas Gesichtshaut nahm wieder die gewohnte Blässe an. Er erhob sich aus der kauernden Haltung, kniete sich Sano gegenüber und sah ihn mit einem selbstgefälligen Lächeln an, hinter dem er seine wahren Gefühle verbarg. »Deshalb kann ich nicht der Mörder sein, den Ihr sucht.«
Doch die Männerstimme, die Nitta im ageya belauscht hatte, hatte vielleicht gar nicht Fürst Mitsuyoshi gehört, sondern dessen Mörder. »War jemand zugegen, der bestätigen kann, was Ihr gehört und getan habt?«, fragte Sano.
Nitta schüttelte den Kopf. »Der Flur war leer.«
Also hätte der Schatzminister unbemerkt das Gemach betreten und Fürst Mitsuyoshi erstechen können, überlegte Sano. Und was die Männerstimme anging, die Nitta angeblich gehört hatte – das konnte eine Lüge gewesen sein. Also hatte Sano zwar Nittas Aussage, aber nicht den geringsten Beweis für deren Richtigkeit. Und Zeugen, die Nittas Aussage bestätigen oder widerlegen konnten, gab es auch nicht.
»Was ist mit Kurtisane Wisterie?«, fragte Sano. »Habt Ihr sie an dem Abend gesehen?«
»Ich sagte Euch bereits, dass ich das Recht auf die Nacht mit ihr an Mitsuyoshi abgetreten und das ageya verlassen habe, ohne Wisterie gesehen zu haben!« Nitta bedachte Sano mit einem zornigen Blick. »Außerdem – was spielt es für eine Rolle, ob ich sie gesehen habe oder nicht?«
»Kurtisane Wisterie wird vermisst«, entgegnete Sano. »Und wie es aussieht, ist sie ungefähr zum Zeitpunkt des Mordes verschwunden.«
Einige Atemzüge lang herrschte Schweigen. »Tatsächlich?«, sagte Nitta dann und hob seine silbernen Augenbrauen. In seiner Stimme lag Besorgnis. »Und niemand weiß, wo sie ist?«
»Ich hatte gehofft, Ihr könntet mir Auskunft darüber geben.« Sano konnte nicht erkennen, ob Nittas Erstaunen über das Verschwinden Wisteries echt oder gespielt war.
»Bedauerlicherweise habe ich keine Ahnung.« Der Ausdruck des Schatzministers wurde argwöhnisch, und ein zorniger Beiklang schlich sich in seine Stimme. »Ihr habt doch nicht etwa den lächerlichen Verdacht, ich könnte mit dem Mord am Erben des Shōgun und mit Wisteries Verschwinden zu tun haben, sōsakan-sama? Eine größere Dummheit hätte ich gar nicht begehen können! Und ich bin nicht in meinen hohen Rang aufgestiegen, indem ich Dummheiten beging! Auch wenn ich Wisterie geliebt habe – ich käme niemals auf den verrückten Gedanken, eine Kurtisane aus Yoshiwara zu entführen. Ebenso wenig würde ich ihretwegen einen Mord begehen. Selbst wenn ich Fürst Mitsuyoshi gehasst habe, käme ich niemals auf den Gedanken, mein Ansehen und meine Ehre aufs Spiel zu setzen, indem ich ihn töte.«
Dennoch – auch ein Mann wie Nitta konnte aus Hass und blinder Eifersucht einer gewalttätigen Regung nachgeben, ungeachtet seiner Intelligenz und dem Selbsterhaltungstrieb. Und Sano wusste, dass die schöne Wisterie eine Frau war, die einen Mann zum Mord aus Eifersucht treiben konnte. Als sie beide damals ein Verhältnis gehabt hatten, hatte Liebe dabei kaum eine Rolle gespielt; beiden war es hauptsächlich um die bloße Befriedigung der Lust gegangen. Doch Sano konnte sich gut vorstellen, dass viele Männer, die Wisterie aufrichtig liebten, alles tun würden, um sie für sich alleine zu besitzen.
»Welchen Weg zum Tor habt Ihr genommen?«, fragte
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