Der Verrat
verletzlich, und der Kammerherr vertraute ihm bedingungslos seinen Körper an. Seine Geheimnisse aber behielt er für sich. Für Yanagisawa war Wissen die größte Macht überhaupt, und diese Macht teilte er niemals und mit niemandem. Hoshina konnte diese Einstellung verstehen, dennoch schmerzte ihn das Misstrauen seines Geliebten.
»Ich werde heute meinen Sohn besuchen«, erklärte der Kammerherr unvermittelt.
Dass er so plötzlich das Thema wechselte, verwirrte Hoshina noch mehr und brachte ihn so sehr durcheinander, dass er den gewundenen Pfaden, die der scharfe Verstand Yanagisawas nahm, nicht mehr folgen konnte.
»Welchen Sohn?«, fragte er.
Hoshina wusste, dass der Kammerherr mindestens vier außereheliche Söhne von verschiedenen Frauen hatte. Diese Söhne wohnten zusammen mit ihren Müttern auf verschiedenen Anwesen im Umland von Edo. Hoshina hatte nicht von Yanagisawa selbst von der Existenz dieser Kinder erfahren, sondern dahingehende Gerüchte im bakufu aufgeschnappt. Auch dass der Kammerherr seine Kinder regelmäßig besuchte, wusste Hoshina nur aus der Gerüchteküche, nicht von Yanagisawa selbst.
»Ich werde Yoritomo besuchen«, antwortete der Kammerherr auf Hoshinas Frage. »Den Ältesten. Er ist inzwischen sechzehn.«
Hoshina erinnerte sich, dass Yoritomo das Kind einer ehemaligen Hofdame war, einer Verwandten der Tokugawa und eine gefeierte Schönheit, mit der Yanagisawa eine kurze Affäre gehabt hatte.
»Stimmt denn etwas nicht? Ist Euer Sohn krank?«, fragte Hoshina hoffnungsvoll. Vielleicht hatte es ja gar nichts mit ihrer beider Verhältnis zu tun, dass Yanagisawa ihm gegenüber so gleichgültig und kühl war. Vielleicht machten ihm bloß familiäre Probleme zu schaffen.
»Ganz im Gegenteil«, sagte der Kammerherr, und ein stolzes Lächeln spielte um seine Lippen. »Yoritomo ist fast mein Ebenbild. Mit sechzehn habe ich genauso wie er ausgesehen. Natürlich hat er nicht die Klugheit und Willenskraft, wie ich sie in seinem Alter besaß, aber er macht sich sehr gut.«
Neid und Eifersucht fuhren Hoshina wie glühende Nadeln ins Fleisch. Das Verhältnis Yanagisawas zu seinen Söhnen war ihm gleichgültig, doch es schmerzte ihn, dass der Kammerherr seinen Ältesten gerade jetzt so sehr lobte, nachdem er ihn, Hoshina, kritisiert und abgewertet hatte.
»Es freut mich, dass Ihr mit Eurem Sohn so zufrieden seid«, sagte er steif, »aber was hat er mit dem Mordfall zu tun? Warum ist Yoritomo Euch wichtiger als die Vernichtung eines Mannes, der Euch schon so oft besiegt und gedemütigt hat?«
Verwundert hob Yanagisawa eine Augenbraue. »Das habe ich dir gerade gesagt.«
»Dann habe ich es nicht begriffen.«
»Das wirst du schon noch.«
Yanagisawas Miene wurde weicher, als er Hoshina anschaute, doch der empfand es eher als Ausdruck von Herablassung denn als Zeichen der Zuneigung. Er fürchtete sich davor, Yanagisawa zu beleidigen, wollte den Feldzug gegen seinen Rivalen Sano aber um keinen Preis aufgeben.
»Sanos Einfluss im bakufu wächst von Tag zu Tag«, sagte Hoshina. »Viele hohe Beamte zählen jetzt schon zu seinen Verbündeten. Und wenn er diesen Mordfall löst, wird er beim Shōgun im Ansehen wieder eine Stufe höher steigen – während alle anderen, auch wir, an Wertschätzung verlieren. Seht Ihr denn nicht die Gefahr, dass Sano eines Tages Euren Platz einnehmen könnte? Zumal Ihr ihm in der Vergangenheit Grund genug gegeben habt, Euch zu hassen. Es würde mich nicht wundern, wenn er Euch heimlich entgegenarbeitet, bis er über genügend Macht verfügt, einen Vernichtungsschlag gegen Euch zu führen.«
»Das wird er nicht tun«, sagte Yanagisawa mit ruhiger Zuversicht.
»Weil Waffenstillstand zwischen Euch und Sano herrscht?« Es gelang Hoshina nicht, den Zorn aus seiner Stimme herauszuhalten. »Dieser Waffenstillstand ist nichts weiter als eine stillschweigende Übereinkunft, die nur so lange Gültigkeit hat, wie Ihr und Sano euch daran haltet. Meiner Meinung nach sollten wir zum Angriff übergehen und diesen Waffenstillstand brechen, bevor Sano es tut. Wir sollten jetzt gegen ihn losschlagen, solange er noch angreifbar und verwundbar ist.«
»Ich kenne die Gefahren eines Waffenstillstands«, sagte Yanagisawa herablassend. »Und derzeit sind sie meine geringsten Sorgen, weil ich Sano gegenüber im Vorteil bin.«
»Vorteil? Von welchem Vorteil redet Ihr?«, stieß Hoshina verwundert hervor. »Ich mag es nicht, wenn Ihr in Rätseln sprecht. Sagt mir lieber freiheraus, was vor sich
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