Der Verrat
tief Luft und unterdrückte seine Gefühle. »Ich bin nur verwirrt. Ich hatte erwartet, dass Ihr Euch bei dem Treffen mit Sano und dem Shōgun auf meine Seite stellt. Stattdessen habt Ihr mich allein gelassen wie einen Truppenführer, der fälschlicherweise glaubt, an der Spitze seiner Soldaten einen Angriff zu reiten, während sie in Wahrheit an den Flanken verharren. Warum habt Ihr Euch meinem Angriff auf Sano nicht angeschlossen?«
Natürlich wusste Hoshina, dass er Yanagisawas Respekt und sein Interesse nicht wiedererlangen konnte, indem er wie ein gekränktes Weib jammerte, doch er konnte nichts dagegen tun. Er hörte das Rascheln von Seide, als der Kammerherr sich erhob, zu ihm kam und hinter ihm stehen blieb. Yanagisawas körperliche Nähe ließ Hoshinas Erregung wachsen.
»Es tut mir Leid, wenn du verletzt bist, weil du dich von mir im Stich gelassen fühlst«, sagte der Kammerherr, »aber vergiss nicht, dass ich die Anklage führe. Wenn du auf eigene Faust handelst, kannst du nicht von mir erwarten, dass ich dir Rückendeckung gebe. Es war der falsche Zeitpunkt, deine Feindschaft mit Sano offen zu zeigen. Du hättest es schon daran erkennen müssen, dass ich geschwiegen habe. Deshalb ist es nur recht und billig, dass du von den bisherigen Ergebnissen deiner Ermittlungen enttäuscht bist. Du hast es nicht anders verdient!«
Diese Zurechtweisung ließ erneut Furcht in Hoshina aufsteigen, denn er hatte sehr viel mehr zu verlieren als Yanagisawas Zuneigung. Der Kammerherr hatte schon das Leben vieler Männer vernichtet, die dumm genug gewesen waren, sich ihm in den Weg zu stellen, darunter einige seiner ehemaligen Liebhaber, die Yanagisawa verbannen oder hinrichten ließ. Obwohl Hoshina und der Kammerherr ihr Verhältnis mit gegenseitiger Zuneigung und hoch gesteckten Erwartungen begonnen hatten, wusste Hoshina, dass man alte Gewohnheiten nur schwer ablegt.
»Ich verstehe Eure Einwände«, sagte er nun, drehte sich zu Yanagisawa um und sah ihm in die Augen. »Aber ich bin nach Edo gekommen, um meinen beruflichen Aufstieg im bakufu voranzutreiben und zu beweisen, dass ich fähig bin, die Polizeitruppe dieser Stadt zu führen.« Auch wenn Hoshina als Geliebter des Kammerherrn einen bevorzugten Rang einnahm, musste er dennoch beweisen, dass er sich sein Amt verdient hatte und es nicht bloß seinen Verführungskünsten und Schmeicheleien verdankte. »Aber immer wieder steht Sano mir im Weg. Wie soll ich denn beweisen, was ich kann, wenn er und seine Privatarmee aus Ermittlern jedes Mal die wirklich wichtigen Fälle zugeteilt bekommen und deshalb als Einzige die Gelegenheit erhalten, bedeutende Siege zu erringen und die Wertschätzung des Shōgun zu gewinnen? Ihr habt mich mit nach Edo genommen, damit ich hier Polizeikommandeur werde. Wollt Ihr denn nicht, dass ich in diesem Amt Erfolg habe?«
»Ich dachte, du wärst mit mir nach Edo gekommen, um mir als oberster Gefolgsmann zu dienen«, erwiderte Yanagisawa, und Missbilligung verdüsterte sein Gesicht.
Hoshina wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als ihm klar wurde, wie eigensüchtig seine Worte sich angehört hatten. »Verzeiht, Herr. Natürlich ist es mein allergrößter Wunsch, Euer Diener zu sein.« Um Yanagisawa weiter zu beschwichtigen, fügte er hastig hinzu: »Ihr wollt also nicht, dass Sano aus dem Weg geschafft wird? Dann vergebt mir, dass ich Euren Wünschen zuwidergehandelt habe. Aber ich wollte nur weiterführen, was Ihr vor Jahren begonnen habt. Jetzt haben wir die vielleicht beste Chance, Sano für immer loszuwerden.«
»Jetzt ist nicht die Zeit dazu«, wiederholte Yanagisawa. »Gewiss, durch den Mord an Mitsuyoshi hat sich die Gelegenheit ergeben, die du nun so gern nutzen willst – aber dieser Mord eröffnet uns noch viele weitere Möglichkeiten. Du betrachtest alles aus einem zu engen Blickwinkel. Du bist noch nicht lange genug in Edo, um das ganze Bild sehen zu können, und du hast noch nicht gelernt, die Gefahren abzuschätzen, die auf lange Sicht drohen.« Ungeduld schlich sich in Yanagisawas Stimme. »Ich will nicht versuchen, dich zu beeinflussen, was deine Pläne angeht – das liegt mir fern. Glaub mir einfach, wenn ich dir sage, dass Sano kein Problem mehr für uns sein wird, falls meine Pläne sich so entwickeln, wie ich es erwarte.«
»Pläne? Was für Pläne?«, fragte Hoshina verdutzt, doch trotz seiner Verwunderung entging ihm nicht die Ironie seiner Situation: Nacht für Nacht lag er mit Yanagisawa zusammen, nackt und
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