Der Verrat
wollte sie auch, aber ich habe mich geweigert. Und wegen einer Prostituierten hätte ich niemals den Vetter meines Herrn ermordet!«
»Es gibt gute Gründe, dem Schatzminister zu glauben, ehrenwerter Magistrat«, sagte Sano, dem bewusst war, dass er sich mit jedem Wort mehr auf die Seite Nittas schlug, was Zweifel an seiner Ergebenheit gegenüber dem bakufu zuließ. »Der Schatzminister hatte neben Wisterie noch weitere Kurtisanen. Einer von ihnen hat er sogar kostbares Bettzeug geschenkt, damit sie es zur Schau stellt, um die Beziehung zu ihrem Gönner öffentlich kundzutun, wie es Sitte ist.«
»Seht Ihr?«, rief Nitta dem Magistraten zu.
»Seid still«, sagte Aoki und wandte sich wieder Sano zu. »Selbst wenn Nitta eine Million andere Kurtisanen hätte – es spielt keine Rolle. Dass er Wisterie an den Erben des Shōgun abtreten musste, hat ihn so sehr verärgert, dass er sogar mit dem Besitzer des Owariya in Streit geriet, bevor er Fürst Mitsuyoshi aus Rache tötete.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Nitta wutentbrannt. »Ich war deshalb verärgert, weil der Besitzer des Owariya mich nicht für die entgangene Nacht mit Wisterie entschädigen wollte, für die ich ja bezahlt hatte!«
»Außerdem«, sagte Sano, »gibt es weitere Verdächtige. Den Musikanten Fujio sowie Wisteries yarite , eine Frau namens Momoko, die bereits wegen des Mordes verhaftet wurde.« Sano ging über den Mittelgang zwischen den Reihen der knienden Zuschauer hindurch zum Podium. »Ihr hättet ebenso gut einen der beiden vor Gericht stellen können.«
»Aber keiner von beiden ist ein überführter Dieb!« Magistrat Aoki musterte Sano mit unverhohlenem Spott.
In diesem Augenblick erkannte Sano, weshalb Aoki den Schatzminister zum Schuldigen erkoren hatte und nicht Fujio oder Momoko. Nittas Diebstähle und Lügen machten ihn zu einem wahrscheinlicheren Täter als Momoko und Fujio, aber das war nicht der einzige Grund: Nitta, den Aoki wegen der Unterschlagungen ja bereits zum Tode verurteilt hatte, war ein perfekter Sündenbock. Der Magistrat konnte dem ohnehin todgeweihten Mann auch noch den Mord anhängen, ohne sich groß Sorgen darüber machen zu müssen, dass der wahre Schuldige sich möglicherweise noch auf freiem Fuß befand: Falls Fürst Mitsuyoshi das einzige Ziel des Täters gewesen war – und alles sprach dafür –, hatte dieser keinen Grund, weitere Morde zu begehen. Außerdem wäre mit Nittas Verurteilung der Wunsch des Shōgun nach Vergeltung erfüllt, und der Magistrat hatte gute Aussichten, die Beförderung zu bekommen, die er sich ersehnte.
»Verurteilt Schatzminister Nitta, wenn Ihr wollt«, sagte Sano, angewidert von der Eigensucht und Verschlagenheit Aokis, »aber schiebt die Hinrichtung auf.« Wenn ihm Zeit genug blieb, konnte er vielleicht doch noch die Wahrheit über den Mord herausfinden und den Beweis erbringen, dass Nitta zu Unrecht des Mordes verurteilt worden war. »Ich bitte Euch nur um ein paar Tage.«
»Ihr habt Euch schon zu sehr auf unerlaubte Weise in Zuständigkeiten des Gerichts eingemischt«, erwiderte Magistrat Aoki verärgert. »Es besteht kein Grund, Euretwegen die Gerechtigkeit noch länger hinauszuzögern.« Er nahm den Blick von Sano, schaute Nitta an und verkündete: »Ich verurteile Euch hiermit zum Tode durch rituellen Selbstmord.« Er nickte den Wächtern zu. »Bringt den Verurteilten auf den Richtplatz.«
Nitta stöhnte, stieß einen schluchzenden Laut hervor und riss entsetzt die Augen auf, als seine letzten Hoffnungen zerbrachen. Als die Wächter ihn zur Tür zerrten, gaben die Beine unter ihm nach, und er hing schlaff wie ein Toter zwischen den beiden Wachmännern.
Verzweifelt stellte Sano sich den Männern im Mittelgang des Saales in den Weg. »Bleibt stehen«, befahl er.
Seine vier Ermittler sprangen auf und eilten zu ihm. Die beiden Wächter verharrten, schauten zu Magistrat Aoki und warteten auf neue Anweisungen, während ihnen weitere Wächter zu Hilfe kamen. Verwirrtes Gemurmel erhob sich unter den Zuschauern.
»Ich nehme Schatzminister Nitta in meinen Gewahrsam«, sagte Sano zum Magistraten.
Er packte den Griff seines Schwertes. Sanos Ermittler und die Gerichtswachen Aokis taten es ihm gleich. Während beide Seiten sich lauernd gegenüberstanden, sprangen die Zuschauer auf und drückten sich mit dem Rücken an die Wände, um Platz zu machen, falls es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kam.
In Magistrat Aokis Augen loderten heiße Flammen des Zorns. Sano erkannte,
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