Der Verrat Der Drachen: Roman
»Wir lassen dich und die anderen in der Nähe der Gorankette zurück. Ich dachte, das hätte dir schon jemand gesagt?«
»Wenn man das, was Rorc getan hat, als ›sagen‹ bezeichnen kann«, sagte Nilah knapp.
Shaan konnte sich vorstellen, wie er aufgetreten war.
»Ich habe gehört, er ist dein Vater«, sagte Nilah, und Shaan spannte sich an.
»Von wem hast du das gehört?«
»Von der Clansfrau, Irissa – so heißt sie doch?«
Shaan sah Irissa an, die steif hinter Attar stand und darauf wartete, auf Harakas Rücken zu steigen.
»Ich glaube nicht, dass sie deinen Bruder besonders mag«, fuhr Nilah fort. »Oder vielleicht mag sie ihn zu sehr.«
Shaan runzelte die Stirn. »Ganz gleich, was du denkst, behalt es für dich.« Irissa starrte den Drachen an, als wolle sie ihn mit einem Speer durchbohren. Warum hatte sie Nilah das erzählt? Vielleicht hatte sie gedacht, sie wüsste es schon.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Nilah. »Ich weiß, wie es ist, wenn jeder mehr über einen weiß, als man möchte. Ich werde nichts sagen.« Sie hielt inne. »Zumindest weißt du jetzt, wer dein Vater ist, und wenigstens ist er am Leben, auch, wenn er … nun ja … Meiner ist gestorben, als ich vier Jahre alt war, aber er war ja auch nur ein Prinzgemahl. Einer von vielen meiner Mutter.«
Nilahs Tonfall war bitter, und Shaan war überrascht, als die junge Frau heiser auflachte. »Sie hätte nie gedacht, dass es so weit kommen würde«, sagte Nilah. »Sie wäre erzürnt, zu sehen, was Lorgon getan hat, die fette alte Schnecke.« Sie stupste Shaan sachte mit dem Finger in den Rücken. »Damit werde ich ihn nicht durchkommen lassen. Wenn Rorc denkt, dass ich nur an irgendeinem abgelegenen Ort in den Bergen herumsitze und abwarte, bis er alle gerettet hat, dann sollte er besser noch einmal nachdenken.«
Shaan verrenkte sich, um sie anzusehen. »Was wirst du tun?«
Nilahs Lippen verzogen sich zu einem harten, geheimniskrämerischen Lächeln. »Vielleicht erzähle ich dir das später – aber du bist ja auch hingegangen und hast deinem lieben Vater von meiner Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, erzählt.«
»Das war eine dumme Entscheidung«, sagte Shaan bissig; sie war gereizt.
Nilah zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich, obwohl ich nicht glaube, dass das jetzt noch einen Unterschied macht.«
»Das hier ist kein Spiel, Nilah«, sagte Shaan. »Es sind bereits Menschen gestorben, und es werden noch viel mehr sterben, wenn Azoth kommt.«
»Ich weiß, dass es kein Spiel ist.« Nilahs Stimme hatte einen harschen Unterton. »Meine Mutter ist ermordet worden …«
»Und das wahrscheinlich von ihrem eigenen Rat«, unterbrach Shaan sie.
»Das weiß ich … mittlerweile.« Nilah senkte die Stimme. »Und damit werden sie nicht durchkommen. Danke, dass du mich herausgeholt hast, Shaan. Ich dachte, er würde mich töten – genau wie Mutter.«
Shaan schüttelte den Kopf. »Ich war es nicht allein; du solltest Asrith danken, und den Männern, die gestorben sind, um dich herauszuholen.«
»Ich weiß.« Nilah tätschelte Asriths Haut, und Shaan spürte, wie die Drachin sich gereizt regte.
»Hör auf damit«, sagte sie. »Das mag sie nicht.«
Nilah hörte auf, und Shaan spürte, wie Tallis einen Befehl sandte. »Halt dich fest«, mahnte sie.
Nilah klammerte sich krampfhaft an Shaans Hemd fest, als Asrith sich plötzlich duckte und in die Luft schnellte; ihre Flügel sprangen auf und entgingen nur knapp einem Zusammenstoß mit dem Drachen, der Rorc und Veila trug. Beide Tiere bremsten in einem anmutigen Tanz ab; Asrith stieß einen kurzen, an den anderen Drachen gerichteten Ruf aus, als sie wendete und kräftig mit den Flügeln schlug, um Mailun und Tallis, die auf Marathin ritten, nach Norden zu folgen.
Sie machten bei Sonnenuntergang halt, um das Nachtlager auf einem Brachfeld ein paar Meilen von einem kleinen Dorf namens Galicia entfernt aufzuschlagen. Am Fuße einer Klippe lag ein dichter Hain aus Bäumen; ein schmaler Bach floss daraus hervor und durchschnitt das Feld. Die Jäger verteilten regenabweisende, aus Muthuhaar gewebte Zeltplanen für den Fall, dass es zu einem weiteren Wolkenbruch kam, und Shaan und Tuon stellten gerade das Zelt auf, das sie sich teilen würden, als die Seherin sie aufsuchte.
»Shaan.« Veila begrüßte sie mit demselben traurigen Lächeln, das sie ihr vorhin schon geschenkt hatte. »Kommst du mit Tuon in mein Zelt? Ich mache gerade etwas Kaf warm.«
Shaan sah sie überrascht an.
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