Der Verrat Der Drachen: Roman
strahlte plötzlich vor Hoffnung, und Tallis sah Haraka in dem nassen Tal landen. Auf dem Rücken des Drachen saßen nicht drei, sondern vier Menschen: Attar, Shaans Freundin Tuon, die Seherin Veila und ein Mann, den Tallis nicht kannte. Erstaunt fragte er sich, wer es sein mochte, aber seine Schwester rannte schon über das Gras auf sie zu und stürzte sich mit einem Freudenschrei in die Umarmung der blonden Frau.
Tuon war dünner geworden und sah erschöpft aus; ihr dichtes, blondes Haar war aus dem Gesicht zurückgebunden. Aber sie schenkte Shaan ein breites Lächeln, als sie aufeinandertrafen, und hielt sie eine ganze Weile fest umarmt.
»Du bist endlich zurück!«, rief Shaan.
»Gerade noch rechtzeitig, wie es aussieht.« Tuon trat zurück. »Dein Haar ist länger geworden.«
»Und du trägst Hosen.« Shaan musterte ihre ungewöhnliche Kleidung. »Ich wusste nicht, dass du überhaupt welche besitzt.«
»Sie sind geliehen.«
»Das versteht sich.« Sie zupfte an dem Gürtel, der die Hosen hielt. »Du bist dünner.«
»Sagt die Frau, die ein Strich in der Landschaft ist. Aber du bist am Leben.«
»Das ist meinem Bruder zu verdanken«, sagte sie.
Tuon wollte gerade etwas sagen, als Veila sie erreichte, gefolgt von dem schlanken, dunkelhäutigen Mann, der mit ihnen gekommen war.
»Shaan, ich bin froh, zu sehen, dass es dir gut geht«, sagte Veila. Ein seltsames, trauriges Lächeln huschte über die Lippen der winzigen Frau.
»Danke«, antwortete Shaan unbehaglich.
»Das hier ist Ivar.« Tuon wies auf den Mann. »Torgs Bruder. Er hat die Schriftrollen des Propheten für uns von den Inseln mitgebracht.«
»Hallo.« Ivar grinste, und Shaan spürte ein heftiges Stechen im Magen wie einen Tritt; sein Lächeln ähnelte dem von Torg so sehr. Sie nahm seine dargebotene Hand.
»Ich bin Shaan. Das mit Torg tut mir leid«, sagte sie.
»Danke.« Er neigte den Kopf. »Und meine Mutter dankt Euch.«
»Ihr habt die Schriftrollen mitgebracht?«, fragte Shaan.
»Es schien richtig zu sein, das zu tun«, sagte Ivar.
»Hoffentlich werden sie von Nutzen sein«, sagte Rorc hinter ihr, und Shaan sah das rasch wieder verborgene Aufblitzen von Gefühl in Tuons Augen.
»Veila, Tuon«, sagte der Kommandant, »ich bin froh, euch beide unbeschadet wiederzusehen.« Sein Gesichtsausdruck verriet nichts. »Ivar.« Er streckte dem Mann von den Inseln die Hand hin. »Willkommen und danke für Eure Hilfe.«
»Ja, wunderbar.« Morfessa, der Rorc gefolgt war, schüttelte Ivar ebenfalls die Hand. »Ich brenne darauf, die Schriftrollen wiederzusehen.« Seine Augen funkelten vor Neugier.
»Später«, sagte Rorc. »Wir brechen bald auf. Kommt mit und wartet dort, wo euch der Regen nicht trifft.« Sein Blick streifte Tuon und dann Shaan, die bemerkte, dass ihre Freundin ganz plötzlich sehr angespannt wirkte.
»Komm«, sagte Shaan leise und nahm sie bei der Hand. »Komm, du musst Tallis und meine Mutter kennen lernen.«
»Mutter?«, sagte Tuon erstaunt.
»Ich weiß«, sagte Shaan. »Siehst du? Das passiert, wenn du fortgehst!« Sie begann, sie zu den Bäumen hinüberzuführen, unter denen Tallis mit Attar sprach.
»Ist das die Führerin?«, fragte Tuon, als sie Nilah entdeckte. »Was tut sie hier?«
»Hat Attar euch nichts erzählt?«
»Wir hatten keine Zeit dazu.«
Shaan seufzte. »Ich habe dir so viel zu erzählen.«
»Und nicht nur Gutes.«
»Das kommt darauf an, wie man es betrachtet.«
Tuon legte ihr einen Arm um die Schultern und blinzelte durch den Nieselregen zu Tallis hinüber. »Ich bin nur dankbar, dass es deinem Bruder gelungen ist, dich zurückzubringen«, sagte sie, »und dass du einen hast.« Sie staunte, als sie näher herankamen und sie in der Lage war, ihn klarer zu sehen. »Er sieht genau wie du aus, Shaan, nur … vielleicht ein bisschen hübscher.« Sie kniff sie in den Arm, und Shaan lächelte beinahe.
»Danke«, sagte sie trocken und Tuon hakte sich bei Shaan ein.
»Nur meine berufliche Meinung, versteht sich«, sagte sie, aber das Lächeln erreichte ihre Augen kaum, und Shaan sah ihren Blick wieder zu Rorc wandern.
Während sie auf den Proviant warteten, stellte Shaan Tuon Tallis, ihrer Mutter, Irissa und Nilah vor; dann suchte sie einen Ort entfernt von den anderen, um mit ihr zu reden. Shaan versuchte, eine Möglichkeit zu finden, ihrer Freundin zu schildern, wie es gewesen war, als Azoth sie genommen hatte, was sie bei ihrer Rückkehr vorgefunden hatte und welche Rolle sie bei der Flucht aus der
Weitere Kostenlose Bücher