Der Verrat Der Drachen: Roman
Sattels polierte. »Wenn das Wetter so bleibt.«
Shaan schaute in den klaren Himmel auf. Sie hatte gedacht, sie hätten den Regen hinter sich gelassen.
Rorc wies auf den Himmel im Südwesten. »Da«, sagte er. »Siehst du die Wolkenbank?«
Shaan kniff die Augen zusammen. »Ach, das ist doch nichts«, sagte sie, »kaum ein Fetzen.«
»Oder ein aufkommender Sturm.« Rorc ging wieder ans Polieren.
»Aber ich dachte, hier draußen regnet es so gut wie nie?«
»Regen? Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ein Sandsturm. Es ist die Jahreszeit dafür.«
»Wie schlimm können sie werden?«
Rorcs Lippen zuckten. »Ziemlich schlimm. Hoffentlich haben wir Glück.« Er warf seinen Lappen hin. »Mach das hier fertig.« Damit stand er auf und ging zu Mailun. Und Shaan sah, wie das Gesicht ihrer Mutter verschlossen wurde, als sie vom Kochtopf aufschaute.
Shaan ging wieder daran, die Riemen zu polieren. Sie wollte nicht wissen, was Rorc Mailun zu sagen hatte. Also rieb sie kräftig am Leder herum und fragte sich, wie es Tuon wohl ging.
»Hast du Durst?« Tallis reichte ihr einen Wasserschlauch und setzte sich neben sie.
»Danke.« Sie nahm einen großen Schluck. Beide sahen sie zu, wie Rorc und Mailun miteinander sprachen. Sie waren ein Stück vom Lager fortgegangen, so dass die anderen sie nicht hören konnten. Irissa ignorierte sie alle und starrte in ihren Kochtopf.
»Glaubst du, dass du und Rorc in der Lage sein werdet, die anderen Clans zu überzeugen, gegen Azoth zu kämpfen?«, fragte Shaan.
Tallis zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
Sie spürte seine Unsicherheit durch die Poren ihrer eigenen Haut und wusste, dass er nicht nur ihre Ablehnung fürchtete, sondern auch ihre Reaktion auf ihn und die Drachen.
»Morfessa hat ein gutes Angebot zusammengestellt, was die Handelsmöglichkeiten angeht«, sagte sie ohne große Begeisterung.
»Wenn sie und wir lange genug überleben, um uns daran zu halten«, sagte Tallis. »Aber Kampfkraft gegen einen Jahresvorrat an Feuchtlandgetreide einzutauschen ist kein Angebot, das man leichthin ausschlägt. Ich weiß allerdings nicht, ob Karnit das auch so sieht. Clanangehörige und Feuchtländer sind noch nie gut miteinander ausgekommen.«
»Stolz nützt einem nichts mehr, wenn man tot ist«, maulte Shaan, die Karnit jetzt schon verabscheute.
»Das Sterben ist nichts, wovor Karnit sich fürchtet.«
Shaan blickte nach Westen, wo die Sonne am feurigen Himmel sank. Das Sterben würde durchaus etwas sein, wovor man sich fürchten musste, wenn Azoth seine Drachen in die Wüste schickte. Aber an Azoth zu denken sorgte nur dafür, dass ihr Verstand sich den Vorhersagen des Propheten und den Schriftrollen zuwandte, die Tuon auf den Inseln gefunden hatte.
»Wie weit sind wir von jenem Tempel entfernt?«, fragte sie leise.
»Zu weit, als dass du dich auf die Suche danach machen könntest«, sagte Tallis.
Er ergriff ihre Hand. »Du kannst doch nicht allzu sehr an etwas glauben, was ein toter, alter Mann vor über tausend Jahren geschrieben hat«, sagte er. »Wenn wir näher an den Tempel herangelangen, können wir vielleicht hinreisen, aber nicht jetzt. Ich würde meinen Glauben ohnehin lieber in die Führer setzen.«
»Aber du sagst, dass es vielleicht sogar die Führer waren, die uns den Traum geschickt haben, den wir beide hatten – den Traum, in dem ich den Tempel gesehen habe.«
Tallis seufzte. »Ich weiß, aber … Einfach noch nicht jetzt, Shaan.« Seine Besorgnis, seine Angst um sie, strömten durch seine Haut, um ihre zu berühren. »Bitte.«
Sie nickte, unfähig, ihm noch mehr Schmerz zu bereiten. »In Ordnung. Noch nicht.«
Später in der Nacht erwachte Shaan plötzlich schweißgebadet; ihr Herz hämmerte, und ihr Verstand war vom Bild einer gespenstischen dunklen Gestalt erfüllt, die sie zum Steinauge winkte. Sie lag auf dem Rücken, lauschte dem Wind, der die Zeltbahnen rascheln ließ; ihre Hände waren sandbestäubt, da sie sich in die Erde gekrallt hatte. Sie holte tief Atem, dann noch einmal, und ihr Herzschlag begann sich zu verlangsamen. Aber das Bild in ihrem Verstand blieb, klarer als je zuvor, und auch …
Sie setzte sich langsam auf. Sie spürte in ihrem Inneren durchdringend, dass etwas fehlte – eine … Abwesenheit, sie spürte hier keinen Hauch von Azoth. Nichts. Keinen Schimmer. Sie legte sich eine Hand aufs Gesicht und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie fühlte sich leichter und … befreit. Sie stieß die Zeltklappen beiseite und
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