Der Verrat Der Drachen: Roman
fünf Wächter, darunter Miram, standen davor, der Menge zugewandt. Ihre Mienen waren verschlossen und ihre Gesichter schwarz und mit einem blauen Halbkreis auf der Stirn bemalt. Thadin führte sie zu einem Platz zur Rechten der Gruppe in der Nähe des Scheiterhaufens.
Die Zeremonie dauerte lange. Jedes Mitglied des Führerkreises trat vor, um über Karnit zu sprechen. Er war ein harter Mann gewesen, hatte daran geglaubt, den Clan stark zu halten, und hatte sie in vielen Schlachten gegen andere Clans angeführt, meist siegreich. Er hatte Anhänger gehabt, und es schien so, als ob er trotz allem, was er getan hatte, im Tod geehrt werden sollte – aber dann trat Miram vor, um zu sprechen.
»Wir haben viel über Karnits Stärke und seine Ergebenheit dem Clan gegenüber gehört; all dem, was gesagt worden ist, kann ich nicht widersprechen. Uns ist es unter seiner Herrschaft gut gegangen, wir sind stärker, ein Clan, der sich entschieden behauptet – aber alle Menschen haben mehr als nur ein Gesicht; keiner kann sich als fehlerlos bezeichnen. Und ich muss von Karnits Fehlern sprechen, von dem Zeitpunkt, als seine Besessenheit dazu führte, dass er die Seinen verriet.«
Dann sprach sie über Tallis, über Shaan und darüber, wie Haldane, der Mann, den Tallis einst Vater genannt hatte, von den Drachen getötet worden war. Karnits Hass, so sagte sie, war von jenem Tag an gewachsen. Sie erzählte dem Clan von seinem Anschlag auf Tallis auf dem Weg zur Versammlung und von den drei Männern, die gestorben waren. Sie war eine hochgewachsene, kräftige Frau, und ihr Gesicht war hart, als sie ein Mitglied des Clans nach dem anderen ansah, während sie redete.
»Wir haben nur Tallis’ Wort für das, was an jenem Tag geschah«, sagte sie. »Die Männer, die schon zu Kaa gegangen sind, kennen die Wahrheit. Die anderen, die mit unserem früheren Anführer zur Versammlung gereist sind, behaupten, nichts von dem gewusst zu haben, was er in jener Nacht plante. Jene Zeit ist nun vergangen. Jener Anführer ist gestorben, und ich stehe an seiner Stelle.« Sie wandte sich Tallis zu. »Ich kann das Urteil nicht widerrufen, das diesen Mann zum Ausgestoßenen gemacht hat. Ein Anführer ist von seiner Hand gestorben, so auch andere, aber er wurde zu seinen Taten gezwungen und hat sich nicht frei dafür entschieden. Der Kreis hat beschlossen, dass seine Stellung neu bestimmt werden sollte. Von jetzt an soll Tallis, Sohn Mailuns aus den Eislanden und Rorcs, der einst den Baal angehörte, die Erlaubnis haben, diesem Clan beizutreten, wann immer er will. Er soll nicht angegriffen, übersehen oder am Eintreten gehindert werden, solange dieser Kreis etwas zu sagen hat. Dasselbe muss für seine Schwester gelten.« Sie sah Shaan an, und diese spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog, als viele Augen sich ebenfalls auf sie richteten.
»Heute Abend heißen wir Shaan in unserem Clan willkommen. Sie wurde hier auf dem Sand geboren, an unserem Herdfeuer, und soll uns immer willkommen sein.«
Shaans Herz klopfte einen seltsamen Trommelwirbel, und als Tallis’ Finger ihre berührten, ergriff sie seine Hand. Miram sah zurück zu den anderen. »Ich muss auch von dem Clansmann Jared sprechen, Tallis’ Erdbruder, der ihm das Leben rettete. Ich weiß, dass über ihn Zweifel laut geworden sind, aber diese Zweifel sollen hiermit zerstreut sein. Wenn er zu uns zurückkehrt, kommt er nach Hause.«
Gemurmel und Bewegung durchliefen die Menge. Shaan sah Irissa und ihre Eltern an. Pilar weinte; Aksel, ihr Herzensgefährte, hielt sie im Arm, während Irissa über den Sand der Freifläche hinweg Tallis anstarrte. Ein Ausdruck von Kummer und unterdrückter Gefühlsregung stand auf ihrem Gesicht.
Mailun legte Tallis eine Hand auf den Arm, aber er schien sich all dessen gar nicht bewusst zu sein.
Tallis? , flüsterte Shaan in seinem Verstand, und er sah sie langsam an, aber sein Gesichtsausdruck war trostlos und er antwortete nicht.
»Kommt«, sagte Miram, »lasst uns Karnit zu Kaa schicken.«
Der Rest der Zeremonie flog verschwommen vorüber. Shaan saß neben Tallis und achtete kaum darauf, wie der Bestattungsritus des Clans vollzogen und Karnits Scheiterhaufen entzündet wurde. Sie wusste, warum Tallis so in sich gekehrt war: Er hatte einen Mann getötet, und sein Clan hatte ihn dafür wieder willkommen geheißen. Er konnte sich damit nicht abfinden. Shaan hielt seine Hand fest umklammert und machte sich mehr Sorgen als zuvor darum, was aus ihm werden
Weitere Kostenlose Bücher