Der Verrat Der Drachen: Roman
müssen handeln, und das schnell«, hatte Nilah gesagt. »Wir stehen am Rande einer Schlacht mit den Freilanden, und wenn die Kämpfe erst begonnen haben, wie sollen wir sie dann beenden?«
Sie hatte Morfessa und Veila am Ende überzeugt, denn sie würden im Laufe des Vormittags Fathrins Jagdhütte verlassen. Veila hatte mit den Glaubenstreuen gesprochen, und sie schienen den Plänen zugestimmt zu haben, denn sie hatten schon Proviant gepackt und die Muthus bereit gemacht.
Tuon steckte sich mit einer einzelnen Spange das Haar aus dem Gesicht und ging auf den Hof hinaus. Ivar saß auf der Bank unter dem großen Baum in der Mitte des Hofs und grüßte sie, als sie zum Hauptraum hinüberging.
»Bereit für noch einen Ritt?«, sagte er mit einem warmen Lächeln.
Tuon schüttelte den Kopf. »Wir sind erst vier Tage hier. Ich glaube, ich beginne die Inseln langsam zu vermissen; da gab es wenigstens nur Wanderungen durch den Dschungel.«
»Vielleicht nehme ich Euch eines Tages wieder mit dorthin«, antwortete er. »Meine Mutter würde sich freuen, Euch wiederzusehen.«
Tuon war sich dessen nicht so sicher, aber der Gedanke, wieder auf den Dracheninseln zu sein, gefiel ihr. »Vielleicht«, sagte sie, »aber im Augenblick kann ich nur ans Essen denken.«
»Ich komme mit.« Er stand auf. »Ich habe vorhin Honigbrot gebacken; es sollte noch etwas übrig sein, wenn die Glaubenstreuen nicht alles aufgegessen haben.«
Sie gingen gemeinsam in die Küche und fanden den Rest eines Laibs; sie kochten einen Topf Kaf, um ihn dazu zu trinken. Als sie mit ihrem Essen wieder auf den Hof hinauskamen, begegneten sie Veila. Sie sah ungewöhnlich besorgt aus; eine tiefe Falte hatte sich zwischen ihren Augen eingegraben.
»Veila«, sagte Tuon und stellte ihr Mahl auf einem kleinen Tisch unter dem Baum ab, »setz dich; du wirkst ganz ausgelaugt.«
»Es geht mir gut.« Die Seherin wies die Tasse zurück, die Tuon ihr anbot. »Und ich habe keine Zeit für Kaf – wir haben zu viel zu tun.«
»Setz dich.« Tuon zwang ihr die Tasse in die Hände. »Du wirst auf dem Muthu keinen Tag überstehen, wenn du dich nicht ein wenig ausruhst, bevor wir aufbrechen.«
Veila zögerte und schenkte Tuon dann ein zögerliches Lächeln. »Ich nehme an, du hast recht.«
»Gut.« Tuon setzte sich neben sie, während Ivar ihnen einige Scheiben Honigbrot reichte. »Wie lange warst du noch auf?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht.« Veila schüttelte den Kopf. »Zu lange.«
»Nilah ist entschlossen«, sagte Ivar, und der Mund der Seherin wurde schmal.
»Ja, in der Hinsicht ähnelt sie ihrer Mutter sehr.«
»Sie erinnert mich ein bisschen an meine Mutter«, sagte Ivar lächelnd. »Ich glaube, Pasiphae wäre über diese neue Führerin erstaunt.«
»Seherin.« Bernal, einer der Verführer aus den Reihen der Glaubenstreuen, kam über den Hof auf sie zu. »Die Muthus sind bereit, und ein Großteil des Gepäcks ist aufgeladen.«
»Gut, wir brechen auf, sobald Morfessa und Nilah bereit sind«, antwortete Veila.
Er nickte, und seine dunklen Augen richteten sich auf Tuon. »Kann ich Eure Tasche mitnehmen?«
»Sie steht in meinem Zimmer«, sagte Tuon. Wie die meisten Glaubenstreuen war Bernal ein hochgewachsener, muskulöser Mann, aber unter seinem kurzen, schwarzen Haar lag ein kantiges Gesicht, das sie beunruhigend fand. Seinem Blick entging nichts, und Tuon konnte ihn nicht ansehen, ohne an Rorc zu denken. Zum Glück ließ er sie rasch allein; er brachte es fertig, den gepflasterten Hof lautlos zu überqueren. Sie starrte auf das Honigbrot in ihrer Hand und bemerkte, dass sie keinen Hunger mehr hatte.
»Hier.« Ivar nahm ihr das Brot ab. »Ich wickele etwas ein, das wir mitnehmen können – vielleicht habt Ihr später Hunger.« Er lächelte; seine glänzenden Zähne hoben sich von seiner dunklen Haut ab, und wie immer fühlte Tuon sich von diesem Lächeln getröstet.
»Danke«, sagte sie.
»Aber Ihr müsst Euren Kaf austrinken«, sagte er mit gespieltem Ernst, »ich glaube, den können wir nicht einwickeln.« Tuon lachte.
»Kommt.« Veila stand auf. »Ich höre kein Geschrei mehr. Wir können wohl bald aufbrechen. Ihr beiden geht schon zu den Muthus und wartet dort auf uns.«
Tuon trank ihren Kaf aus und ging dann mit Ivar zur Rückseite des Gebäudes, wo die Männer auf sie warteten. Der Himmel war wolkenverhangen, und ein leichter Wind bewegte die Wipfel der umgebenden Bäume. Sie waren hoch oben in den Bergen, und das kühlere Wetter war eine
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