Der Verrat Der Drachen: Roman
mir«, sagte er leise.
»Ja.« Es war kaum ein Flüstern. »Shaan auch.«
Rorcs Augen waren kalt, aber darunter glaubte Tallis etwas anderes spüren zu können. Schuldgefühle, Scham? Er wusste es nicht.
Am Himmel über ihnen bewegte sich etwas; gleich darauf ließen Marathin und Haraka sich aufs Dach fallen und durchbrachen die Anspannung. Ihre Flügel ächzten laut in der Luft, die Krallen kratzten, und der scharfe Drachengeruch driftete zu ihnen herüber, als die beiden sich in der Nähe niederließen.
Arak-ferish! Marathins drängender Tonfall durchschnitt Tallis’ Gedanken. Neben ihr klopfte Haraka mit einem Flügel aufs Dach.
Mehr kommen , meldete er. Übers Salzwasser .
Was? Tallis rannte an die Dachkante und beugte sich zum Ozean, warf seine Sinne weit hinaus, griff so weit aus, wie er nur konnte. Er wurde mit dem Aufblitzen einer Vision vieler Flügel belohnt, die durch die Luft einen Weg zu ihm schlugen. Arak-ferish . Eine fremde Drachenstimme gelangte wie ein Echo in seinen Verstand.
»Was ist?«, fragte Rorc.
»Die Inseldrachen«, sagte er. »Zehn von ihnen kommen her.«
Rorcs Augen weiteten sich. »Wie weit noch?«
»Sie kommen schnell. Ich könnte hinausfliegen, um sie zu treffen.«
»Tu das.« Er rief Attar zu: »Begleite ihn. Seht zu, ob ihr das Schiff von den Inseln erspähen könnt. Sie hätten keinen günstigeren Zeitpunkt wählen können.« Er wandte sich wieder Tallis zu. »Sprich mit ihnen, finde heraus, ob sie uns helfen werden, aus der Stadt hinauszukommen. Sie könnten einen Unterschied in der Frage bedeuten, wie viele Männer wir am Leben halten können.«
»Ich werde tun, was ich nur kann«, sagte Tallis und sah zu seiner Mutter hinüber. Ihr Gesicht war immer noch fürchterlich blass.
»Eine gute Nacht zum Fliegen, Clansmann«, sagte Attar, als er bei den Drachen zu ihm stieß.
»Das hoffe ich«, sagte Tallis. Sie kletterten auf die Rücken der aufgeregten Drachen, und Marathin duckte sich und sprang in den schwarzen Himmel. Die Drachin flatterte ein, zwei Mal mit den Flügeln, und dann konnte Tallis seine Mutter nicht mehr sehen, da sie in den frischen Wind hinausflogen, der über das Meer blies.
19
T allis duckte sich tief, während Marathin rasch die Luft durchschnitt. Es hatte wieder zu regnen begonnen, ein leichtes, nebliges Nieseln, das sein Haar bedeckte, ihm in die Augen tropfte und auf seinen Lippen salzig schmeckte, da es sich mit der Luft, die vom Ozean aufstieg, vermengte. Draußen über dem Wasser war fast nichts sichtbar, so dass alles, was er erkennen konnte, dann und wann das Funkeln von Harakas Auge zu seiner Rechten und das schwache Schimmern reflektierten Sternenlichts auf Flügeln und Schwänzen war, wo Wasser von der Haut der Drachen abperlte. Aber es spielte fast gar keine Rolle, dass er nichts sehen konnte, weil er fühlte. Marathin unter ihm war eine heiße, pulsierende Präsenz, die durch seine Adern strömte, Haraka ein darauf antwortendes Pochen, und vor ihnen, jetzt nicht mehr weit entfernt, kam die neue Drachenschar von den Inseln, von ihm angezogen wie Motten von einer Kerzenflamme oder das Wasser vom Ufer. Er spürte ihre kombinierte Essenz wie einen Chor in seinem Blut, als sie seinen Geist und Körper mit Energie durchflutete.
Bald . Marathins Zischen hatte einen Beiklang von Erwartungsfreude, und Tallis fragte sich, wie es sein konnte, dass Attar, der neben ihm ritt, das Summen nicht hören konnte, das in seinem Verstand so laut wie tausend Bienen klang. Alle Gedanken an Sorgen um seine Mutter und daran, was Rorc sagen mochte, waren verschwunden, und sein nachklingender Kummer über den Ausdruck von Irissas Augen wurde auf ein Minimum gedämpft, als der Schwarm näher kam, und dann war er plötzlich vor ihm. Eine Reihe von Drachen brach wie Schatten, die Gestalt annahmen, aus der dunklen Nacht hervor. Hier blitzte ein Auge im Sternenlicht, dort war ein Flügelschlag sichtbar, und dann konnte Tallis sie erkennen: zehn Drachen, die von einem alten Weibchen angeführt wurden. Ihre Haut begann blau und grün zu schimmern, als sie sich ihm näherten und spürten, dass sein Innerstes sie erwartete.
Arak-ferish . Es war eine einzige Stimme, eine alte Stimme, vielschichtig von all den Jahren. Das uralte Weibchen. Die Krone. Ich heiße Asrith . Marathin unterbrach ihre Vorwärtsbewegung und schwirrte mit den Flügeln in der Luft, um auf der Stelle zu schweben, und Tallis musste mit den Schenkeln fester zupacken, da ihr Körper bei jedem
Weitere Kostenlose Bücher