Der Verrat: Thriller (German Edition)
mit Maribel, der Empfangsdame von South Detroit Sounds, angefangen. Wenn sie mal eine Nacht miteinander verbringen wollten, gingen sie normalerweise in ihre Wohnung, weil das einfacher war, als über Nacht einen Babysitter für ihren sechs Jahre alten Sohn Luis zu finden. Doch ihre Mutter oben in Traverse City war mit Verdacht auf Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert worden, und Maribel hatte Pete um Hilfe gebeten. Sie hatte ihm nicht mal die Chance gegeben, abzulehnen, sondern ihm buchstäblich das Kind und die Schlüssel in die Hand gedrückt. Pete hatte sich entschlossen, zurück in seine eigene Wohnung zu gehen, da er dort einen besseren Fernseher und eine bessere Musikanlage hatte und Luis im Gästezimmer unterbringen konnte. So kam also der Bericht von einem weinenden Kind zustande und den zwei Körpern, die auf den Wärmebildkameras zu sehen waren.
Der nächste Tag hatte aus einem endlosen Durchkauen der begangenen Fehler bestanden. Und dann hatte natürlich noch die Presse Wind von der missglückten Rettungsaktion bekommen und die Geschichte als düstere Witzmeldung des Tages gebracht. Und mitten in diesem Chaos flehte Stephanie ständig alle an, die Bemühungen bei der Suche nach Jimmy zu verstärken. Als Vivian endlich der Einsatzanalyse entkommen konnte, versicherte sie Stephanie, dass die Nachforschungen weiterliefen. Aber man hatte keine Anhaltspunkte.
»Wir wissen jetzt, dass der Entführer von Atlanta aus zum O’Hare geflogen ist. Aber das ist ein anderer großer Knotenpunkt. Er kann von überallher gekommen sein. Und wenn er nicht versucht, das Kind aus den USA hinauszuschmuggeln, dann können sie einfach untertauchen.« Vivian wirkte gestresst und gehetzt. Wahrscheinlich fürchtete sie Auswirkungen auf ihre Karriere, überlegte Stephanie.
Sie hatten sich hingesetzt und einen Zusammenschnitt des Materials aus den Überwachungskameras angeschaut, auf denen der bärtige Mann, später der falsche Mitarbeiter der Flughafensicherheit, zu sehen war. Er erinnerte Stephanie an absolut niemanden, den sie kannte. »Mit diesem Bart, das könnte ja jeder sein«, klagte sie.
»Was ist mit seinem komischen Gang? Das sieht mir nach einem Humpeln aus.«
Stephanie schüttelte den Kopf. Sie hatte nach ihrem Unfall Monate mit Physiotherapie zugebracht, während sie wieder richtig laufen lernte. Wenn es um Beinverletzungen ging, kannte sie den Unterschied zwischen echt und vorgetäuscht. »Das ist aufgesetzt. Er möchte nur seinen echten Gang verschleiern. Und er zieht es nicht mal konsequent durch. Sehen Sie hier? Er weicht einem kleinen Mädchen aus, das durch die Halle rennt, dabei vergisst er sich. Sofort reißt er sich wieder zusammen, trotzdem denke ich, dass er nur vorgibt zu humpeln.«
Und dabei hatten sie es belassen. Keinen Zentimeter weitergekommen, warteten sie ab, ob sich aus dem Aufruf über die Amber Alert Hotline für Kindesentführungen etwas ergab. Man wollte nicht zulassen, dass sie die USA verließ, aber Vivian hatte ihr erzählt, dass Nick sie bei ihrem Chef freigekämpft hatte. Immer wieder hatte er betont, dass Stephanie in erster Linie ein Opfer sei, hatte klargestellt, dass sie eine unbescholtene Bürgerin sei, die jederzeit bereit sei, in die USA zurückzukehren, um in einem zukünftigen Prozess auszusagen. Letztendlich gäbe es keinen Grund, sie festzuhalten, und wenn man nicht beabsichtige, sie in Guantanamo Bay verschwinden zu lassen, dann solle man sie besser schleunigst in ein Flugzeug nach Hause setzen. In Vivians Augen hatte diebische Freude aufgeleuchtet, als sie erzählte, wie Nick die Guantanamo-Bay-Karte ausgespielt hatte. Bei Stephanie war der Eindruck entstanden, dass Vivian keine Freundin des Konzepts von juristisch fragwürdigen Haftmethoden war.
Hier war sie nun also, und obwohl Jimmy nur neun Monate in ihrer Obhut verbracht hatte, fühlte sie sich seltsam allein und beraubt. Es war nicht einmal lange genug gewesen, um den Adoptionsprozess abzuschließen. Ihr nächstes Gespräch mit dem Sozialarbeiter würde spannend werden. »Entschuldigung, das Kind ist mir irgendwie abhanden gekommen …«
»Es gibt einen einzigen Lichtstreifen am Horizont«, sagte Stephanie.
»Wirklich? Also selbst bei einer Optimistin wie dir bin ich überrascht, dass du etwas Positives in all diesem Durcheinander entdeckt hast«, meinte Nick.
»Ich denke, Pete hat endlich eingesehen, dass es ihm nur Ärger einbringt, mir nachzustellen.«
Selbst im Profil sah man, wie skeptisch Nick war.
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