Der Verrat: Thriller (German Edition)
verstörender für sie. Wenn ihr klar gewesen wäre, dass sie schwanger war, hätte sie keinen Tropfen Alkohol angerührt. Außerdem wusste doch jedermann, dass man viel leichter beschwipst wurde, wenn man schwanger war. Es war also auch der Wein gewesen, nicht nur die Hormone.
Und plötzlich war Scarlett wieder das Lieblingskind eines großen Teils der britischen Bevölkerung. Man liebte sie wegen ihrer Unvollkommenheit. Was ihr passiert war, hätte jeder Frau passieren können. Die Männer hatten Verständnis, weil sie erlebt hatten, wie ihre Frauen während der Schwangerschaft bei allen möglichen Gelegenheiten ausflippten. Die Frauen hatten Verständnis, denn wer hatte sich nicht mal ’n Drink erlaubt und dann ein schlechtes Gewissen gehabt oder geraucht, bevor man wusste, dass man ein Kind erwartete? Die Boulevardblätter waren begeistert, weil es ihnen einen Vorwand gab, endlose Features darüber zu drucken, dass Frauen wegen ihrer Hormone entgleisten. Horrorgeschichten über die Gewalttätigkeit, merkwürdigen Gelüste und Wutanfälle schwangerer Frauen füllten die Seiten von Illustrierten und Zeitungen. Es machte schon fast den Eindruck, als sei Schwangerschaft ein Synonym für Psychose.
Und jetzt wurde ich herangezogen, um auf dem letzten Stück von Scarletts Weg zur Rehabilitation zu helfen. Das meisterhaft gefertigte letzte Stück des Puzzlespiels würde ihr dreihundert Seiten langer Brief an ihr ungeborenes Kind sein, eine geglättete und geschönte Version ihrer Autobiographie, um mit ihrem Publikum in Harmonie zu schwelgen und dafür zu sorgen, dass Friede, Freude, Eierkuchen weiter erhalten blieben. Insgeheim befürchtete ich, dass es eine steile Aufgabe sein würde. Aber ich habe mich nie vor einer beruflichen Herausforderung gedrückt.
Und Maggie wusste das natürlich.
Je fragwürdiger die Gründe für die Berühmtheit einer Person, desto strikter will der Kunde auf jeder Etappe des Weges Kontrolle ausüben. Die Menschen, die wirklich etwas erreicht oder echte Schicksalsschläge überwunden haben, stimmen meinen Vorschlägen zur Organisation des Ablaufs stets freudig zu. Sie verstehen, dass ich auf dem Gebiet Expertin bin und aus Erfahrung weiß, wie man es am besten macht. Aber Leute wie Scarlett, die nur für ihre Bekanntheit berühmt sind, stellen immer jede Menge Ansprüche, die nur notdürftig als Vorschläge getarnt sind.
Bei der ersten Auseinandersetzung, und ich wusste schon, dass ihr noch viele folgen würden, ging es um den Treffpunkt für unsere erste Begegnung, bei der Scarlett entscheiden würde, ob sie mich so sehr mochte wie ihr Agent und ihr Verleger. Sie wünschte sich, dass wir uns in der Suite eines Hotels in Mayfair treffen sollten. Ich wollte zu ihr nach Hause. Wir hatten beide unsere Gründe dafür. Sie wollte ein Symbol dafür, wie wichtig sie war. Ich wollte in ihrer persönlichen Umgebung Witterung aufnehmen. Und Maggie will nie unnötig Geld ausgeben, weil alles, was dem Kunden im Voraus spendiert wird, irgendwann wieder reinkommen muss. So etwas wie eine Einladung zum Essen auf Kosten des Verlags, das gibt es gar nicht.
Als Ghostwriter erreicht man nichts, indem man mit den Füßen aufstampft und darauf besteht, dass alles so gemacht werden muss, wie man es sich vorgestellt hat. Es gilt, sich an den Abwehrmechanismen vorbeizumogeln, damit die Kunden glauben, alles sei ihre eigene Idee. Man weiß, dass man es geschafft hat, wenn man sie im Nachmittagsfernsehen sieht, wo sie dem Moderator ganz im Ernst erklären, sie stünden jeden Morgen zwei Stunden vor den Kindern auf, damit sie Ruhe zum Schreiben hätten. In der Phase glauben sie wirklich schon, dass sie die Verfasser sind. Und dass man selbst nur da war, um die Kommas zu setzen und die Rechtschreibung zu überprüfen.
Maggie rief also George an, Scarletts Agenten, und sie führten ihren üblichen Eiertanz auf. Maggies Argument war, dass in Hotels nichts geheim bleibt. Wenn Scarlett in einem Fünfsternehotel auftauchte, würde jemand vom Personal sofort die Presse anrufen, und dort würde man vorzeitig Scarletts neueste Affären auftischen. Ich saß auf dem Sofa in ihrem Büro und bewunderte die Art, wie sie Gorgeous George, den schönen Schorsch, bearbeitete, einen Mann, dem bekanntermaßen schwer zu schmeicheln oder durch Überredungskunst beizukommen war. Aber wie ich bereits bei anderen Gelegenheiten gesehen hatte, war selbst er Maggie nicht gewachsen. »Süßer«, sagte sie. »Seien wir doch ehrlich. Wenn
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