Der Verrat: Thriller (German Edition)
Vielschwätzer mochten spötteln, alle Blätter von der Daily Mail aufwärts mochten sich lustig machen, aber Scarlett hatte einen untrüglichen Instinkt dafür, wie man die einfältigen jungen Frauen erreichen konnte, die Geld genug hatten, dass sie der Werbung interessant erschienen. Anscheinend wusste sie genau, wann es ankam, sich vulgär zu geben, wann verletzlich, wann sexy und wann verdammt unverschämt. Und weil mindestens zweimal die Woche abgebildet war, wie sie einen draufmachte, waren ihre Leserinnen sicher, dass sie wirklich viel mit ihnen gemeinsam hatte.
Für diese jungen Frauen war Scarlett der lebende Beweis ihres Traums vom Erfolg. Sie bestätigte ihre oberflächlichen Ambitionen. Sie sahen, dass sie trotz ihrer schrecklichen Kindheit, ihrer mangelhaften Bildung und ihres nicht gerade umwerfenden Aussehens auf großem Fuß lebte, und das half ihnen, daran zu glauben, dass so etwas auch für sie möglich sei. Und damit schafften sie es, ihr Scheißleben durchzustehen.
Also zogen sie sich Scarletts Late-Night-Show auf dem Satellitenkanal rein. Das Programm beeinflusste ihr ganzes Leben. Scarlett erteilte Schönheitstipps, Moderatschläge und gab den Blick auf eine Welt frei, die vor Produktplazierung troff. Man sprach bereits von einer speziellen Parfümmarke, einer Bekleidungskollektion in einer weniger anspruchsvollen Textilkette und einer Kolumne in einer Monatszeitschrift. Gott sei Dank kam Letztere nicht zustande. Ich schauderte bei dem Gedanken an den armen Redakteur, dessen Aufgabe es gewesen wäre, Scarletts simple und zugleich total konfuse Weltsicht in eine Form zu gießen, die bei den Lesern ankommen würde und bei den Anwälten durchgehen konnte.
Trotzdem musste ich zugeben, dass Scarlett ihre Sache nicht schlecht gemacht hatte. Aus ihrer Sicht zumindest. Sie lebte in einer abscheulichen Villa im Stil einer Hazienda am Rand von Epping Forest, die laut dem Yes! Magazine ursprünglich für einen kleinen Gangster aus dem Londoner Osten gebaut worden war. Mit ihrem Mischmasch der Stile und Einrichtungsstücke aus Restposten sah sie aus wie eine Ausstellung der denkbar schrecklichsten Geschmacksverirrungen. Sie kaufte ein Haus für ihre Mutter und ihre Schwester, bestand aber vernünftigerweise hartnäckig darauf, dass sie immer oben in Leeds im Hintergrund blieben. Über Scarletts Familie waren nicht viele Einzelheiten bekannt geworden. Was meiner Erfahrung nach »Abschaum« bedeutete. Aus meiner Sicht war das gut. Zumindest versprach es eine gewisse Pikanterie. Im besten Fall konnte es Leichen im Keller geben, die irgendwann wie gedopte Flamenco-Tänzer angetrappelt kämen.
Scarlett hangelte sich also ganz gut weiter und trieb komfortabel über der Talsohle des Ruhms dahin. Als die zweite Staffel von Goldfish Bowl gecastet werden sollte, kamen die Produzenten auf die clevere Idee, zwei der Teilnehmer aus der ersten Staffel wieder ins Spiel zu bringen. Sie gaben es als bessere Chance für die Teilnehmer aus, wenn sie zwei aus dem alten Team dabeihätten, die die Erfahrung schon hinter sich hatten und wussten, wie man eine Kuh melkt oder ein Kaninchen häutet. Ich vermutete, dass es eher eine Absicherung sein sollte. Die Zuschauer hatten sie beim ersten Mal gemocht, also würden sie sich mit größerer Wahrscheinlichkeit die zweite Staffel anschauen.
Und natürlich sprach man Scarlett zuerst an. Ehrlich gesagt, hatte ich der Show damals kaum Beachtung geschenkt. Ich steckte zu der Zeit mitten in der letzten Phase meines Buches über den Spitzen-Tory und versuchte, manchen seiner weniger erfreulichen Leistungen einen positiven Anstrich zu verleihen. Und davon gab es nicht wenige.
Am Anfang ging alles recht gut, aber bald merkten die Kandidaten, dass es keine so tolle Idee war, Mitbewerber von der vorherigen Staffel dabeizuhaben. Es gab Unzufriedenheit unter ihnen, weil sie es als unfairen Vorteil empfanden. Bis sie feststellten, dass manche der Dinge, über die Scarlett und Darrell Bescheid zu wissen glaubten, sich geändert hatten, wie zum Beispiel die Stellen, wo es Essbares gab. Und dann wendete sich das Blatt, und sie machten sich über die sogenannten Inselexperten lustig.
Man brauchte kein Psychologe zu sein, um zu verstehen, dass Scarlett eines nicht ertragen konnte, nämlich, wenn man sich über sie lustig machte; sie hatte oft genug erlebt, dass man sie als unbedarft und dumm betrachtete. Doch selbst die Unbedarften und Dummen können schließlich die Schlagzeilen der
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