Der Verrat: Thriller (German Edition)

fingen die Zuschauer auch an, ihr Durchhaltevermögen zu bewundern. Als die Lebensmittel knapp wurden, machte sie daraus etwas Positives, nämlich eine Gelegenheit zum Abnehmen. Als Captain Sensible bei der Aufgabe »Das Meer, unsere Speisekammer« die einzige Angel der Gruppe abhanden kam, suchte sie so lange den Strand ab, bis sie einen Ersatz fand. Obwohl sie oft unvorsichtig handelte und verriet, dass sie eine vulgäre, engstirnige Spießerin war, mochten die Leute Scarlett. Ihre Mitbewerber nominierten sie sechsmal für den Rausschmiss, das war ein Rekord. Jedes Mal entschieden jedoch die Zuschauer, dass sie bleiben und der andere Kandidat gehen solle.
    Trotzdem reichte ihre Beliebtheit bei den Zuschauern nicht aus. Bei der letzten Abstimmung der Staffel verlor sie gegen Darrell O’Donohue, einen liebenswürdigen, verschnarchten Muskelprotz aus Belfast. Ich schätze, er gewann, weil es gegen Darrell absolut nichts einzuwenden gab. Er sah gut aus, war nett und fleißig, schien keine ausgeprägte Meinung zu irgendeinem Thema zu haben und hatte beim Karaoke-Wettbewerb mit Shania Twains »Man! I Feel Like a Woman!« ausgezeichnet abgeschnitten. Aber trotzdem hätte ich ihn vor Ablauf einer Stunde umgebracht, hätte ich einen Abend in seiner Gesellschaft zubringen müssen. Nachdem die Staffel vorbei war, hatte er seine fünf Minuten Berühmtheit, dann verschwand er wieder in Nordirland und war damit zufrieden, ein C-Promi zu sein, ein kleiner Fisch im kleinen Teich.
    Scarlett dagegen machte das meiste aus ihrem Erfolg, obwohl sie im Finale geschlagen wurde. Beim Lesen der Wikipedia-Seite zu Scarlett fiel mir wieder ein, wie draufgängerisch sie gewirkt hatte. Nachdem sie ihre Vergangenheit in den Problemvierteln von Süd-Leeds hinter sich gelassen hatte, steuerte sie schnurstracks die Promi-Piste an. Sie nahm Kontakt mit einem Agenten auf und war innerhalb von ein paar Tagen eine feste Größe in der Sensationspresse und den Klatschblättern, wo betrunkene Frauen gefeiert wurden, die morgens um drei in Limousinen oder in die Gosse stolperten. Schlanker geworden und von Stylisten zurechtgemacht, schien Scarlett fast schön zu werden, und bald danach hatte sie sich einen Freund geangelt, der bereits mit einem Fuß auf der Aufstiegsleiter für Promis stand.
    Scarlett hatte noch nicht genug Superstar-Punkte gesammelt, um sich einen Fußballer der ersten Liga zu schnappen, aber sie schaffte es auf das zweitbeste Niveau. Reno Jacuba war Stürmer bei einer Mannschaft der Football League Championship, die in der Mitte der Tabelle herumdümpelte. Er kämpfte gegen mehrere Anschuldigungen wegen brutaler sexueller Übergriffe an, hatte den gleichen Agenten wie Scarlett, und die Verbindung war für beide von Vorteil. Sie waren also ein Pärchen – jedenfalls für die Dauer einiger Illustriertenausgaben. Als er erst mal rehabilitiert und ihr Ansehen etwas gestiegen war, trennte er sich von ihr. Oder sie trennte sich von ihm, je nachdem, welcher Seite man Glauben schenkte.
    Der Nächste war ein zweitklassiger Gangsta-Rapper, der dafür bekannt war, dass er auf dem roten Teppich der MOBO-Awards seinen nackten Hintern zur Schau gestellt hatte. Auf ein paar kurze Monate kitschiger »Liebe« folgte ein erbitterter Krach. Drei Streitereien in Nachtclubs landeten auf den ersten Seiten der Boulevardpresse, dann war der Rapper Geschichte.
    Und nun kam Joshu. Ein britischer DJ asiatischer Abstammung, Titan der Plattenteller, ein aggressiver kleiner Gockel von einem Mann, der meinte, jedes Wort, das ihm über die Lippen kam, sei pures Gold. Der König der Clubs, das war jedenfalls seine Meinung. Er wurde nie müde, Scarlett in der Öffentlichkeit zu sagen, sie müsse dankbar sein, dass sie mit ihm zusammen sei, denn er könne jede Frau haben, die er wolle. Diese Behauptung stellte er auch regelmäßig unter Beweis. Sie stritten sich deswegen in Nachtclubs, Bars und Restaurants. Sie stritten sich deswegen in Talkshows, bei Presseinterviews und auf der Straße. Das Problem war nur, dass das dämliche Mädel offenbar in den Depp verliebt war. Sie konnte nicht genug von ihm kriegen. Die Geschichte auch nur zu lesen ließ mich wünschen, ich könnte sie zur Vernunft bringen.
    Scarlett war nicht nur gut darin, ihre Liebesaffären vor aller Welt auszutragen. Ein cleverer Fernsehproduzent hatte begriffen, dass sie eine Gabe dafür hatte, mit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu kommunizieren. Die Besserwisser und politisch korrekten