Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat: Thriller (German Edition)

Der Verrat: Thriller (German Edition)

Titel: Der Verrat: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
ich den schwachen Schrei eines Neugeborenen. Eine der Gestalten im Kittel legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Es ist ein Junge. Er wird gerade untersucht, machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Und Scarlett?«
    Es war schwer, etwas aus seinem Gesicht abzulesen. Ich sah nur Augen und Augenbrauen. »Wir tun unser Bestes. Aber wir sind ein gutes Team. Sie müssen sich jetzt auf das Baby konzentrieren.«
    Und dann legte ihn die Hebamme mir in die Arme. Er war in eine dünne blaue Decke eingewickelt, sein dichtes schwarzes Haar klebte wirr auf der Stirn, seine Nase war platt wie die eines Boxers, und um die Ohren hingen noch Spuren von blutigem Schleim. Aber er lächelte. Er lächelte, seine Augen waren offen, schauten mich direkt an, und da war’s um mich geschehen.

14
    W issenschaftler sagen, dass Babys genetisch programmiert seien zu lächeln, sobald sie geboren sind. Es ist ein Mechanismus, der bewirken soll, ihnen das Leben zu retten. Sie lächeln, und wir verlieben uns in sie. Weil auch wir programmiert sind, uns von diesem Lächeln bezaubern zu lassen. Es hat nichts mit leiblicher Verwandtschaft zu tun. Man wird sich genauso in das Kind einer völlig Fremden verlieben wie in die eigene Leibesfrucht. Über Folgendes sollte man mal nachdenken. Man schätzt, dass ein Viertel aller Kinder nicht die Nachkommen der Männer sind, die sie für ihre halten. Und doch lieben diese unwissenden Väter ihre Kinder genauso rückhaltlos wie die leiblichen Eltern. Und das gilt nicht nur für Väter. Man denke an die vielen Geschichten über zufällig bei der Geburt vertauschte Kinder, deren Mütter die Ersatzkinder genauso sehr lieben wie ihre eigenen Sprösslinge.
    Womit ich nur andeuten will, dass ich bereits einige Minuten nach seiner Geburt eine Bindung mit Jimmy Joshu Higgins einging. Man schob uns aus dem OP-Saal hinaus und wieder in den Nebentrakt, wo wir vorher gewesen waren. Man ließ mich auf einem Stuhl Platz nehmen, gab mir eine Flasche mit Babynahrung und zeigte mir, wie ich sie ihm geben sollte. Damals dachte ich mir nichts dabei, nahm einfach an, dass dies die Standardvorgehensweise sei.
    Dass das nicht stimmte, erfuhr ich erst zwei Jahre später, als ich einer potenziellen Kundin, die bei der Behandlung von Unfruchtbarkeit Pionierarbeit geleistet hatte, als Anreiz diese Geschichte erzählte. Sie schien ganz bestürzt. »Wirklich? Man ließ Sie dem Kind die Flasche mit Babynahrung geben?«
    Erstaunt antwortete ich: »Ja. Man sagte, er hätte nach der Geburt eine ganz schöne Anstrengung hinter sich und sei bestimmt hungrig. Und das stimmte. Er trank die ganze Flasche aus.«
    Sie stieß ein ironisches kurzes Lachen aus. »Und seine Mum ist okay?«
    »Ja, ihr geht’s gut. Sie beklagt sich immer noch über ihre Narbe, aber abgesehen davon ist sie wieder ganz hergestellt. Warum?«
    »Na ja, es hört sich an, als hätte man geglaubt, man würde sie verlieren.«
    »Sie meinen … sie hätte sterben können?«
    Sie nickte. »Deshalb hat man Sie so schnell rausgeschafft. Man wollte Sie nicht dabeihaben, wenn sie auf dem Tisch gestorben wäre. Und deshalb forderte man Sie auf, ihm die Flasche zu geben.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Heutzutage sind alle besessen von der Idee, dass die Mütter stillen sollen. Der Grund, weshalb Sie ihm die Flasche geben sollten, war, dass man befürchtete, sie würde es nicht schaffen. Und das Kind muss mit jemandem eine Bindung eingehen.« Ich muss so entsetzt ausgesehen haben, wie ich mich fühlte, denn sie brach in Lachen aus. »Man hatte Sie insgeheim als Pflegemutter vorgesehen.«
    Was in Anbetracht unserer jetzigen Situation umso ironischer ist. Aber damals dachte ich nur, ja, natürlich hat das Kind Hunger. Und innerhalb von einer Stunde war Scarlett wieder im Zimmer. Sie hing an einem Morphintropf und sah aus, als hätte sie fünfzehn Runden gegen eine Backsteinmauer angeboxt. Aber sie war unbestreitbar da und lächelte strahlend auf das winzige Bündel in ihren Armen hinunter. »Er ist wunderschön«, sagte sie immer wieder. Offen gesagt, verlor ich ziemlich schnell das Interesse. Auch wenn ich ihr zustimmen musste.
    »Ich lasse euch beide euer Fest der Liebe genießen«, sagte ich. »Meine Aufgabe hier ist erledigt.«
    Scarlett hob kaum den Blick. »Danke«, sagte sie. »Du bist wirklich ein Schatz!«
    »Dazu sind Freunde da. Ich fahre Joshus Wagen zu dir nach Hause. Kann ich mir dein Auto ausleihen, um nach London zu kommen? Du kannst ja sechs Wochen sowieso nicht

Weitere Kostenlose Bücher