Der Verrat: Thriller (German Edition)
Hätte sie es über ihren Chef laufen lassen müssen, hätte es weiß Gott wie lange gedauert. Aber andererseits verlangte sie ja nicht viel. Nur ein paar Stunden der Zeit eines Kripo-Beamten. Es war verblüffend, wie der Papierkrieg sich verkürzte, wenn das Leben eines Kindes auf dem Spiel stand.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und überlegte, was sie bis jetzt erfahren hatte. Entweder war Stephanie Harker so anständig, wie Nicolaides sie sah, oder sie hatte ihm auf der ganzen Linie schon eine Zeitlang etwas vorgemacht. Da Vivian ihn nicht kannte, war es schwer zu sagen. Vorerst neigte sie dazu, Stephanie zu glauben. Ihre Reaktionen schienen Vivian bis jetzt überzeugend. Sie selbst hätte sich recht ähnlich benommen, schätzte sie. Aber herauszubekommen, was hinter diesen Reaktionen steckte, war nicht ganz so einfach.
Der Signalton ihres E-Mail-Posteingangs riss sie aus ihren Gedanken. Broadbent war ihrer Bitte um Hilfe nachgekommen. Nur um sich abzusichern, leitete sie die Mail an ihren Chef im Chicagoer Büro weiter. Während sie wartete, dass Abbott und Nicolaides einige Wissenslücken füllten, würde sie herausfinden, was Stephanie Harker noch zu erzählen bereit war.
Als sie in den Verhörraum zurückkam, fiel Stephanies gieriger Blick auf ihren Kaffee. »Geht es, dass ich auch so einen bekomme?«, bat sie. »Ich hab schon lange nicht mehr geschlafen und bin jetzt ziemlich am Ende.« Dagegen ließ sich nicht viel sagen, denn sie sah angespannt und mitgenommen aus. So war das immer, wenn den Leuten das Adrenalin ausging.
Vivian zog einen Zwanziger aus der Tasche und gab ihn Lopez. »Holen Sie auch einen für sich selbst, Lia. Sie wollen einen Latte, Stephanie?«
»Könnte ich einen Mokka haben? Ich brauche Zucker und Koffein. Und vielleicht ’n Muffin oder so was.«
Vivian nickte Lopez zu. »Lassen Sie sich einen Beleg geben.« Sie nahm einen Schluck von ihrem eigenen Kaffee. »Erzählen Sie mir von Pete Matthews«, bat sie. »Und bevor Sie es sagen – ich weiß, es ist eine lange Geschichte. Aber bis wir erfolgversprechende Spuren haben, denen wir nachgehen können, sollten wir die Zeit nutzen.«
Eins kam zum anderen, und es vergingen zwei Tage, bis ich wieder zu Hause war. Ich hatte kaum Zeit gehabt, das Wasser aufzusetzen, als Pete mit einem bitterbösen Gesicht auftauchte.
»Es ist verdammt noch mal an der Zeit, dass du zurück bist«, motzte er, sobald er die Tür geöffnet hatte.
»Und ich freu mich auch, dich zu sehen.« Ich versuchte, ihn aus seiner schlechten Laune herauszulocken, und hatte nicht die Absicht, sarkastisch zu sein. Aber wenn er in einer solchen Stimmung war, wirkte nichts anderes als totale Kapitulation. »Ich hab dir gestern eine SMS geschickt. Hast du sie bekommen?«
»Ich sollte einen Schlüssel zu diesem Haus haben«, sagte er und stapfte durch den Flur in die Küche. »Ich war ganz außer mir vor Sorge, als ich zwei Tage nichts von dir hörte. Ich hab versucht, dich anzurufen. Ich hab versucht, dir eine SMS zu schicken. Aber nichts.«
»Ich hab dir doch geschrieben, dass mein Handy nicht mehr ging, und bei Scarlett gab es kein Ladegerät für Nokia. Ich konnte erst gestern eins bekommen.« Ich folgte ihm und machte dann den Kaffee.
»Ich bin hergekommen, um nach dir zu sehen. Um mich zu vergewissern, dass nichts passiert ist.«
Ich brach in Lachen aus. »Was sollte denn passieren? Ich bin doch kein Invalide, Pete. Ich bin eine gesunde Frau, die für sich selbst sorgen kann.«
»Alles Mögliche hätte passieren können. Du hättest im Bad ausrutschen und dir den Kopf anschlagen können. Du hättest die Treppe runterfallen können. Ein Einbrecher hätte dich überfallen können.«
Ich schüttelte den Kopf, wandte ihm den Rücken zu und drückte das Filtersieb im Kaffeebereiter nach unten. »Dass du immer so heiter bist, das hält dich in Schwung.«
Plötzlich packte er mich an den Armen und drehte mich herum. Seine Hände umklammerten mich eisern, und er schüttelte mich. »Du dämliche Kuh. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht.«
Der Zorn in seinem Gesicht erschreckte mich. Ich wusste, dass er auf Angst und Sorge beruhte, aber das machte es nicht weniger beängstigend.
»Lass los, Pete, du tust mir weh«, schrie ich auf.
Meine Worte schienen die Intensität seiner rasenden Wut zu brechen. Abrupt löste er die Hände und wandte sich ab. Als er sprach, klang seine Stimme halb erstickt. »Du hast keine Ahnung, wie du mich aufgeregt hast«, sagte er.
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