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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Rees Brennan
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zurück, und es gab einen peinlichen Moment, in dem sie ihn an sich zog und er ihr zu nahe kam und sie dann beide zu schnell zurückwichen.
    Von Nick erwartete sie keine Umarmung. Er sagte nicht einmal Hallo.
    Mit verschränktenArmen lehnte er imTürrahmen und nickte ihr zu.Als sie sie einlud, hereinzukommen, folgte er ihnen insWohnzimmer, immer einen Schritt hinter ihnen, sorgsam über seinen Bruder wachend.
    Mae fand es schrecklich, wie lächerlich unsicher sie sich fühlte, und nahm zu der verzweifelten Maßnahme Zuflucht, sich zu geben wie ihre Mutter und die Gastgeberin zu spielen.
    Â»Setzt euch«, sagte sie und setzte ein Lächeln auf. »Kann ich euch etwas anbieten? Saft?Tee?«
    Â»Ich hätte gerne einen Saft«, sagteAlan.
    Nick schüttelte den Kopf.
    Â»Was ist, sprichst du jetzt gar nicht mehr?«, fuhr ihn Mae an und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
    Â»Ich spreche schon«, antwortete Nick und verzog leicht die Mundwinkel. »Und ich sehe, dass du immer noch andere Leute belästigst.«
    Seine tiefe Stimme erinnerte Mae immer an ein Feuer. Es war ein leiser, gefährlicher Klang mit einem gelegentlichen Knistern, das einen erschrecken ließ. Nick reden zu hören war, wieAlan laufen zu sehen. Es war immer offensichtlich, dass etwas nicht stimmte.
    Â»Ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen«, gab sie zurück und ging den Saft fürAlan holen.
    Als sie zurückkam, saßAlan in einem Sessel vor dem Kamin wie ein richtiger Gast, während Nick im Raum auf und ab lief, als wäre er ein wilder Hund, den man im Haus eingesperrt hatte. Er suchte nachAnzeichen für Gefahr und war stets fluchtbereit.Als sie eintrat, hatte er sich über das Klavier gebeugt und sah nun auf, nicht erschrocken, aber misstrauisch. Mae trat instinktiv einen Schritt zurück und fasste mit der freien Hand nach demTürknauf. Plötzlich war ihre Hand, die das kühle Glas hielt, schweißnass.
    Es hatte sie immer ein wenig erschreckt, wenn Nick sie direkt angesehen hatte, und jetzt, da sie wusste, warum, war es noch schlimmer. Sein Blick war ruhig und seineAugen waren nicht die Fenster zur Seele, sondern zu einer anderenWelt – einerWelt ohne Mond und Sterne und ohne jegliches Licht undWärme.
    Dann sah er wieder auf die Klaviertasten und war wieder einfach nur der bestaussehende Junge, dem sie je begegnet war. SeineWimpern lagen leicht auf den hohenWangenknochen, und seine kohlrabenschwarzen Haare waren so dunkel, dass sie nicht glänzten, sondern einfach nur weich aussahen. Sein Mund mit den vollen Lippen hätte sehr ausdrucksstark sein können, doch irgendwie war er das nie.
    Â»Spielst du?«, fragte sie und fühlte sich gleich darauf dumm und war erneut wütend über sich selbst. Normalerweise fühlte sie sich nie dumm.
    Â»Nein«, antwortete Nick in seiner tiefen, tonlosen Stimme. Sie glaubte schon, mehr würde er nicht sagen, da er mitWorten immer sehr vorsichtig umging, so als habe er nur eine begrenzteAnzahl davon zurVerfügung und sie könnten ihm jedenAugenblick ausgehen. Doch dann fügte er hinzu: »Alan hat gespielt. Früher, als wir noch klein waren.«
    Â»Vor einer Ewigkeit«, warfAlan unbekümmert ein. »Ich war auch in der Fußballmannschaft und habe Gitarre gespielt.Aber am meisten glänzen konnte ich mit demTamburin.«
    Was er nicht sagte, war, dass das noch vor demTod ihresVaters gewesen war, bevor er zum Krüppel wurde und als sie noch Geld gehabt hatten. Mae hielt sich amTürknauf fest und hatte das Gefühl, dass ihr großes Haus sie inVerlegenheit brachte.
    Â»Wir könnten ein Klavier kaufen«, behauptete Nick.
    Â»Und? Sollen wir es in den Garten stellen?«Alan gab ein leises Geräusch von sich, das fast wie ein Lachen klang.
    Â»Wir könnten uns ein größeres Haus leisten. Du könntest Klavier spielen. Du könntest Fußball spielen.Wir könnten alles tun, was wir wollen …«
    Mae hatte noch nie gehört, dass Nicks Stimme Gefühle zeigte. Gefahr allerdings hatte sie schon oft herausgehört. Er schrie nicht, aber manchmal wurde alles still, wenn er sprach, und dadurch klang seine Stimme lauter, wie ein Messer, das mit einem leisen Geräusch aus der Scheide gezogen wird.
    Sie erinnerte sich daran, dass Nicks Stimme einesAbends so geklungen hatte, als er herumgefahren war und seinen Bruder geschlagen hatte. Und sie erinnerte sich

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