Der verruchte Spion
innerhalb so kurzer Zeit zu verlieben.
Fünf Tage. War es wirklich erst fünf Tage her? Nathaniel drückte den Riegel herunter und öffnete die Terrassentür. Kühle Abendluft schlug ihm entgegen. Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er fast nichts mehr von dem Ball, nur die Musik klang leise durch die Scheiben.
So vieles hatte sich in fünf kurzen Tagen verändert. Er hatte sich verändert. Er fühlte es. Irgendwie war er leichter geworden. Tief atmete er die Gerüche des Abends ein, den geschnittenen Rasen um die Terrasse herum und die Kletterpflanzen im Garten. Der Duft der Blumen zog ihn an. Er war schon eine Weile über die verschlungenen Pfade spaziert, bis er sie fand. Die winzigen sternenförmigen Blüten strömten einen lieblichen süßen Duft aus, der ihn an irgendetwas erinnerte. Nur woran?
Schließlich hatte er es. Es war in der Nacht seiner Rückkehr gewesen. Willa, die in dem Zeug badete.
Der Duft der Kletterpflanze ließ ihn sich daran erinnern, wie er sich über sie gebeugt hatte und geschworen hatte, sie vor seinem Leben und ihm selbst zu schützen.
Der Garten hatte seine beste Jahreszeit schon hinter sich, aber die klug verschlungenen Wege waren von Hecken gesäumt und ließen ihn so viel größer erscheinen, als er tatsächlich war. Nathaniel beneidete seine Gastgeber immens darum und nahm sich vor, ihnen ihren Gärtner abspenstig zu machen, sobald sich die Gelegenheit bot.
Vorausgesetzt, der Mann wäre bereit, für Lord Treason zu arbeiten.
Obwohl Nathaniel sehr langsam ging und einige Zeit bei dem Brunnen in der Mitte der Gartenanlage verweilte, entdeckte er draußen niemanden.
Nathaniel beschloss, dass er eine weitere Vorstellung als Raubtier im Käfig geben musste und ging zum Haus zurück.
Sie erwarteten ihn auf der Terrasse.
Willa wandelte durch den Ballsaal und suchte Nathaniel unter den zahlreichen Besuchern, die inzwischen angekommen waren, konnte ihn aber nirgends entdecken. Sie erblickte Kitty, die stolz mit Knight an der Spitze der Formation tanzte. Sie wartete auf das Ende des Tanzes, um dann Kittys Hilfe in Anspruch zu nehmen. Plötzlich fühlte sie sich beobachtete.
Sie schaute nach links, wo einige Damen sie verstohlen musterten und tuschelnd die Köpfe zusammensteckten. Leider war Willas Gehör ausgezeichnet.
»Wer ist sie nur? Weiß irgendjemand, wo er sie gefunden hat?«
»Ich habe gehört, sie sei eine Wirtshausmagd aus einem winzigen Dorf im Norden.«
Das war nicht so schlimm, dachte Willa. Und auch nicht
so weit von der Wahrheit entfernt. Sie hatte über die Jahre so manchen Krug eingeschenkt.
»Also, ich habe gehört, dass sie den ganzen Weg nach London zusammen gereist sind. Alleine.«
Gespielt schockiertes Getuschel beantwortete diese Aussage.
Willa schaute weg. Wieder nichts als die Wahrheit. Sie griff nach dem kleinen Bleistift, der von ihrer Tanzkarte hing, und versuchte möglichst unbekümmert auszusehen.
»Und da ist noch etwas«, sagte die Rothaarige, die über ihre Reisearrangements so gut Bescheid wusste. »Man sagt, sie hätte ihn mit einem Stein bewusstlos geschlagen und dann die ganze Nacht neben ihm verbracht, um ihn dazu zu zwingen, sie zu heiraten.«
Der winzige Bleistift brach entzwei. Willa starrte die Tänzer vor sich mit verschwommenem Blick an. Woher wussten sie so schnell so viel? Sie hatte es nur Myrtle erzählt, und ihr vertraute sie blind.
»Also, mir tut sie irgendwie Leid. Sie mag ihn ja übervorteilt haben, aber sie konnte unmöglich wissen, wer er war. Keine Frau ist so verzweifelt.«
»Nnnneinn«, sagte die Frau, die so gut Bescheid zu wissen schien. »Es sei denn … sie war wirklich … verzweifelt.«
Jetzt waren die Damen wirklich schockiert.
»Nein!«
»Oh, gütiger Himmel, mein Riechsalz!«
»Dann verdienen sie einander doch, findet ihr nicht?«
Jetzt reichte es ihr. Willa wandte sich mit einem zuckersüßen, aber tödlichen Lächeln an die Gruppe. »Oh, vielen Dank!«, sagte sie deutlich. »Ihr seid zu gütig!«
Sie wollte gehen, dann drehte sie sich noch einmal um. »Wenn sich eines Tages herausstellen wird, dass Lord Reardon sich nichts hat zuschulden kommen lassen, solltet Ihr Euch nicht schämen, uns einen Besuch abzustatten. Ihr werdet
feststellen, dass ich zwar ein gutes Gedächtnis habe, von Natur aus aber nicht nachtragend bin.« Sie lächelte wieder. »Üblicherweise.«
Sie stolzierte davon. Als sie um eine Säule bog, begegnete sie Kitty und Knight. Kitty lächelte voller Stolz. »Gut
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