Der verschlossene Gedanke
Echo im Raum. Ja. Worüber soll er reden? Darüber, dass er die Gedanken eines Mörders teilt? Darüber, dass er die eigenen Gedanken manchmal nicht mehr von den fremden unterscheiden kann? Darüber, dass diese Gedanken der einzige und somit im Grunde nicht vorhandene Beweis gegen den Mörder von Liliana Falkner sind? Er ist an jedem Ort gewesen, der in irgendeiner Form etwas mit Lilli zu tun hatte, letztendlich sogar am Tatort. Es ist nur nahe liegend, dass man glauben wird, dass er etwas mit dem Mord zu tun hat.
Er nimmt seine Hände von seinen Schultern und geht einen Schritt zurück. In Sekundenschnelle gewinnt die Vernunft, das letzte bisschen, das ihm geblieben ist, wieder die Oberhand. Er schaut zur geöffneten Wohnzimmertür, hinter der er wimmernd die Blondine erkennt, dann erneut zu Kenny, der gleichgültig nach einer Zigarettenschachtel auf der Heizung greift. Ist das tatsächlich passiert? Wie konnte er so dermaßen die Beherrschung verlieren?
Er dreht sich um und verlässt wortlos das Zimmer. Schon beinahe an der Eingangstür angekommen, hört er Kenny aus dem Wohnzimmer rufen.
„ Schöne Grüße an Volker. Sag ihm, dass er sich sein Personal in Zukunft ein bisschen sorgfältiger aussuchen soll. Amateure wie du können beim Ausführen solcher Aufträge ganz schön peinlich werden.“
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„ Wo warst du?“ Ihr Blick macht deutlich, dass sie keine Ausreden akzeptieren wird.
„ In der Stadt“, antwortet er ruhig.
Er legt die Autoschlüssel in die Schale auf der Kommode und geht ins Arbeitszimmer. Sie folgt ihm mit verschränkten Armen vor der Brust.
„ Eine spontane Entscheidung?“, fragt sie.
„ Sozusagen.“
„ So spontan, dass du die Splitter des Tellers nicht mehr wegfegen konntest?“
„ Der Teller. Ja. Das habe ich wohl vergessen. Ich hatte einen Anruf und da bin ich wohl davon abgekommen.“ Es erschreckt ihn, wie leicht ihm das Lügen mittlerweile fällt.
„ Einen Anruf?“
„ Es ging nur um ein Interview.“ Er setzt sich an den Schreibtisch und klappt den Laptop auf.
„ Was für ein Interview?“ Ihre Frage dient lediglich der Fortsetzung des Gesprächs. Sie kennt ihn zu gut, um ihn nicht zu durchschauen.
„ Irgend so ein Online-Magazin. Frag mich nicht nach dem Namen.“
„ Und was, wenn ich es täte? Was, wenn ich wissen will, wie der Name lautet? Wenn ich dich frage, was so wichtig war, dass du Hals über Kopf das Haus verlassen hast?“
„ Gaby.“
„ Ich fahre für ein paar Tage zu Patrick und Tina“, sagt sie unvermittelt.
„ Weil ich einen Teller habe fallen lassen?“
„ Du weißt warum.“
„ Um ehrlich zu sein weiß ich das nicht. Ich mache eine schwierige Phase durch, aber das ist doch kein Grund, gleich alles in Frage zu stellen.“
„ Und gerade deshalb ist es umso schlimmer, dass du dich mir nicht mehr anvertraust, Oskar. Eine Beziehung ohne Vertrauen ist für mich keine.“
„ Aber ich vertraue dir, Gaby. Niemandem so wie dir.“
Sie wendet sich ab. Es scheint, als würde sie weinen. Dann sammelt sie sich und hebt den Kopf wieder.
„ Im Moment ist jedes Vertrauen zwischen uns nur noch geheuchelt. Bitte ruf mich nicht an, Oskar. Ich weiß nicht, wann ich wieder komme.“
Sie verlässt das Zimmer, ohne sich umzuschauen. Erst jetzt wird ihm der Koffer im Flur bewusst, den er beim Hereinkommen gesehen hat. Nicht einmal mehr darüber hat er sich gewundert. Er möchte sich erheben und ihr nachgehen, aber ihm will kein Argument einfallen, sie zum Bleiben zu überreden. Der Gedanke, dass sie ihn für verrückt halten könnte, wenn sie die Wahrheit erfährt, ist schmerzlicher als die Vorstellung, dass sie sich ausgeschlossen, möglicherweise sogar hintergangen fühlt. Vielleicht ist es sogar besser, wenn sie eine Weile bei ihrem Bruder unterkommt. Abstand von ihm bedeutet auch Abstand von potentieller Gefahr.
Er öffnet das Schreibprogramm und schaut auf die letzten Zeilen des Kapitels. Sie spürte den weichen Sand unter ihren Füßen. Die Mittagssonne hatte ihn in glühend heißen Staub verwandelt und machte jeden Schritt zu einem Wagnis. Aber sie nahm weder den heißen Sand unter sich noch die grelle Sonne wahr. Ihre Gedanken waren weit weg. Weit weg von allem.
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Lennard schiebt den Papierstapel zur Seite. „Diesmal ist es nicht nur beim Einkaufen geblieben, oder? Diesmal ist sie wirklich verschwunden. Ich hab es dir gesagt, Oskar. Wenn du so weitermachst, verlierst du sie noch ganz.“
„
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