Der verschlossene Gedanke
im Grunde nicht außergewöhnlich. Sie hat nicht gewusst, dass er sie abholen würde und war ein wenig überrascht.“
„ Hatte Sie ihm nichts von der Schule erzählt?“
„ Doch natürlich. Er wusste davon. Aber es war eine Zeit, in der er anfing, misstrauisch zu werden, wann immer sie allein unterwegs war. Zumindest hat sie das erzählt.“
„ Eifersüchtig?“
„ Oh ja, er war schon immer sehr eifersüchtig. Das war auch einer der Gründe, warum sie ihn verlassen wollte. Er hat ständig behauptet, dass sie mit anderen Kerlen rumhängen würde. Aber glauben Sie mir, Lilli ist nicht so. Sie hat diesen Typen wirklich geliebt. Sonst wäre sie nie so lange bei ihm geblieben.“
„ Also waren das nur alberne Theorien, die er sich grundlos zusammen gesponnen hat?“
„ Er hatte vermutlich Angst, sie zu verlieren. Kein Wunder. Er war ja nicht gerade Brad Pitt. Ich verstehe bis heute nicht, was Lilli an ihm gefunden hat. Vermutlich war es das Helfersyndrom. Er hat ihr leid getan. Sie hat sich für ihn verantwortlich gefühlt.“
„ Und das Treffen in der Schule?“
„ Was meinen Sie?“
„ Na, als er Lilli abgeholt hat.“
„ Na ja, Treffen würde ich das nicht nennen. Er stand draußen mit seinem Wagen. Auf dem Parkplatz. An sein Auto gelehnt. Als ich vorbeiging, habe ich nur mitbekommen, dass er sie fragte, warum das so lange gedauert hätte. Und dass obwohl sie gar keine Ahnung hatte, dass er draußen wartet. Ich meine, wie kommt er dann dazu, sich noch zu beschweren? Diese Frage habe ich mir zumindest damals gestellt.“
„ Er scheint sehr Besitz ergreifend zu sein.“
„ Das ist vermutlich die richtige Umschreibung. Besitz ergreifend. Vielleicht hat es diese Eigenschaft auch erforderlich gemacht, dass Lilli erstmal untergetaucht ist, um ein wenig Gras über die Sache wachsen zu lassen. Er hat alles schlecht gemacht, was ihr wichtig war. Sogar ihre Hilfe für die Kinder unserer Schule. Zeitverschwendung hat er es genannt. Und dass sie sich lieber noch einen zweiten Job suchen soll.“
„ Neben ihrem Job bei Barney?“
„ Ja. Einerseits wollte er, dass sie mehr Geld verdient, andererseits wäre es ihm am liebsten gewesen, wenn sie nie das Haus verlassen hätte.“
„ Eifersucht befähigt zu vielem, was man sonst nicht mal in Erwägung ziehen würde.“
„ Sie haben vermutlich recht. Ein Grund mehr, sich jetzt langsam zurückzuziehen, Herr Holstein. Bevor es noch gefährlicher wird. Ich werde mich bei Ihnen melden, wenn Lilli wieder da ist. Dann ist dieses Kapitel auch für Sie abgeschlossen.“
„ Apropos Kapitel. Ich muss dringend wieder an meinen Laptop.“
„ Wie verbleiben wir?“
„ Ich werde Sie nicht in Gefahr bringen, Frau Bruckheimer, das verspreche ich Ihnen.“
Kapitel 10: Für immer perfekt
Der Gedanke überfährt ihn heftiger als an den Tagen zuvor. Ohne Vorankündigung, ohne jedes ahnende Gefühl ergreifen die Bilder Besitz von ihm, als er die Tür des Küchenschranks öffnet, um nach einem Teller zu greifen.
Ob er es endlich verstanden hat? Ob der kleine Unfall ihm endlich verdeutlicht hat, dass seine Suche keinen Sinn hat? Dass er Lilli niemals finden wird? Seinen Augen, die auf das Innere des Schrankes gerichtet sind, bietet sich ein fremdes Bild. Weit entfernt von der Küche, in der er sich befindet. Ein kniehoher Tisch. Der Rand eines Wasserglases. Es wird ihm eine Lehre sein. Die Gedanken werden zu Erinnerungen an Liliana. Schmerz. Wieder derselbe brennende Schmerz, Sehnsucht, die beinahe zerreißend ist. Ihr lächelndes Gesicht auf dem Kopfkissen. Nackte Haut, die seine berührt. Finger, die durch ihr Haar streichen. Heißer Atem auf den Wangen. Warum nur, Lilli? Warum? Es hätte perfekt sein können. Für immer perfekt.
Das Klirren des Tellers auf den Fliesen reißt die Bindung ab. Weiße Porzellansplitter verteilt über dem Küchenfußboden. Das Lieblingsgeschirr von Gaby. Sie hatten es von seinen Eltern zur Hochzeit bekommen. Die letzte Erinnerung an seine Mutter.
Er will nach dem Handfeger suchen und das Chaos beseitigen, als ihn eine fast unmenschliche Wut überkommt. Wie weit soll das alles gehen? Werden ihn die fremden Gedanken so lange überkommen, bis er selbst der einzige Fremde in diesem Szenario ist? Ein Gefangener in seinem eigenen Körper, der nicht mehr Herr über sein Handeln ist? Nein. Soweit wird es nicht kommen. Er schließt die Tür zur Besenkammer. Das Chaos auf dem Boden kann er später noch beseitigen. Wenn das Chaos
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