Der verschlossene Gedanke
von mir.“
„ Aber warum hier? Warum auf diese Weise? Sie hätten mich genauso gut anrufen können.“
„ Ich wollte nicht telefonieren.“
Er betritt die letzte Stufe, um seinen Fuß ins Innere des Hochsitzes zu setzen.
„ Tut mir leid, Oskar. Ich habe wirklich angefangen, Sie zu mögen.“ Sie erhebt sich von der Sitzbank. „Aber Sie haben sich regelrecht in die Rolle des Mörders gedrängt. Zu lange, um sie jetzt einfach so wieder abzulegen.“
Er schaut sie fragend an. Für einen kurzen Moment spürt sie eine Bindung, sein Blick, der mehr zu ahnen scheint, als der Augenblick verspricht. Aus seiner Ahnung scheint Wissen zu werden. Fast scheint es, als könnte er ihre Gedanken lesen. Noch bevor sie diese alberne Theorie zu Ende spinnen kann, greift sie nach dem Holzklotz hinter der Tür. Der Schlag verlangt ihr einiges an Kraft ab, doch der Plan geht auf. Sie sieht seinen Fuß von der Schwelle rutschen, über die erste Stufe, die zweite, dann gleitet er im freien Fall in die Tiefe.
Als sie den Aufschlag hört, spürt sie ihren Atem wieder ruhiger werden. Endlich. Die Nummer der Polizeistation ist bereits auf ihrem Handy gespeichert. Wie lange soll sie warten, um den Anruf zu tätigen? Fünf Minuten? Zehn? Die Geschichte von der Bedrohung durch den besessenen Liebesromanautor, der seine Romane nicht mehr vom echten Leben unterscheiden konnte, wird als Motiv für den Mord an der unschuldigen Lesungsbesucherin Liliana sowie als Ursprung für Tanjas Notwehr gleichermaßen glaubhaft sein.
Am Fuße des Hochsitzes schnappt sie ein letztes Mal nach Luft. Ein leichter Windzug. Was für ein schöner Sommerabend. Der rote Mohn scheint im Sonnenuntergang regelrecht zu leuchten. Niemand, der die Stille stört. Nicht mal ein Gedanke.
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