Der verschlossene Gedanke
Ich werde sie nicht verlieren“, antwortet Oskar. „Sie ist das Wichtigste in meinem Leben.“
„ Im Moment macht es allerdings nicht den Anschein, als wäre dir deine Ehe wirklich wichtig. In gewisser Weise kann ich sogar verstehen, dass sie das Weite gesucht hat.“
„ Ich finde ihr Verhalten überzogen“, antwortet er, während er ein Blatt Papier in den Shredder schiebt. „Sie sollte mich gut genug kennen, um zu wissen, was sie mir bedeutet. Andererseits ist es vielleicht sogar besser, wenn sie erstmal außerhalb unserer vier Wände ist. Sie in Sicherheit zu wissen, steht über allem.“
„ Und was ist mit deiner Sicherheit? Ich habe dich auf offener Straße gefunden. So betrunken, dass du gestürzt bist. Ich habe langsam das Gefühl, dass du die Kontrolle über dich verlierst, Oskar.“
„ Ich bin nicht gestürzt, Lennard. Das habe ich dir schon mal gesagt. Es war ein Überfall.“
„ Ah ja. Ein Überfall.“ Er faltet die Hände unter dem Kinn. „Und wer hat dich überfallen?“
„ Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht gesehen.“
„ So, so.“
„ Erspar mir deine Arroganz, Lennard. Ich weiß, was ich gehört habe. Da waren Schritte hinter mir. Ganz deutlich.“
„ Die du trotz deines, na ja, nennen wir es mal, wankelmütigen Zustandes ganz deutlich hören konntest, ja?“
„ Allein die Tatsache, dass ich mich selbst jetzt noch an die Schritte erinnern kann, beweist doch, dass jemand da gewesen sein muss.“ Er stützt die Ellenbogen auf den Schreibtisch. „Und selbst wenn ich die Schritte nicht gehört hätte, ich weiß, dass jemand anderes dahinter stecken muss. Man zieht sich nicht so eine Beule zu, nur weil man einmal hingefallen ist.“
„ Theorie hin oder her. Was hast du jetzt vor? Wirst du weiter an dem Manuskript arbeiten oder ist das hier“, er hält die Seiten hoch, „alles, was ich von dir zu erwarten habe?“
„ Ich habe jetzt beim besten Willen keinen Nerv für deinen Druck, Lennard. Der erste Entwurf wird termingerecht fertig sein. Bis dahin wäre es nett, wenn du mir keine weiteren Fragen zum Buch stellst.“
„ Verstehe. Nun verbannst du also auch mich aus deinen Plänen.“
„ Ich verbanne niemanden. Ich erwarte einfach nur ein wenig Verständnis für meine Prioritäten. Wir sind Freunde, Lennard. Aber ich bin dir keine Rechenschaft über mein Leben schuldig.“
„ Nein, das bist du nicht. Ich möchte nur nicht, dass du irgendeinen Fehler begehst, den du nicht wieder gut machen kannst.“
„ Das werde ich nicht.“
Oskar schiebt einen weiteren Stapel in den Shredder. Wenn nur alles so leicht zu vernichten wäre wie Papier.
Lennard blättert in den Seiten des Manuskripts auf seinem Schoß. „Bist du dir sicher, dass sie Michelle heißen soll?“
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„ Sind Sie sicher, dass das eine gute Idee ist?“
„ Die Polizei hat einfach ganz andere Mittel als wir. Sie kann den Dingen auf den Grund gehen und vielleicht auch endlich herausfinden, wer dieser Volker ist und was für eine Rolle er spielt.“
„ Ich habe Angst, Herr Holstein.“
„ Aber gerade diese Angst können Sie ablegen, sobald die Polizei ins Spiel kommt. Die wissen, was sie tun. Und können notfalls auch für Schutz sorgen.“
„ Vielmehr geht es mir darum, dass ich nicht verstehe, wozu das Einschalten der Öffentlichkeit gut sein sollte. Lilli hat ausdrücklich geschrieben, dass sie sich melden wird.“
„ Sie glauben immer noch daran, dass die Email echt ist, oder?“
„ Natürlich. Warum nicht? Außerdem habe ich Ihnen schon einmal erklärt, dass ich Angst um meinen Ruf habe. Ich habe ein gewisses Ansehen, Herr Holstein. Neben meiner Stellung in der Schule bin ich außerdem im Vorstand einiger wohltätiger Organisationen. Man kennt mich. Man rechnet mit mir. Ich habe Angst, in irgendeine seltsame Sache hineingezogen zu werden.“
„ Das kann ich nachvollziehen, Frau Bruckheimer. Aber ich glaube, Sie machen sich da grundlos Sorgen. Schließlich wird Ihr Name nicht in irgendwelchen Zeitungen stehen, nur weil sie eine Aussage machen.“
„ Aber was ist mit Ihnen? Sie haben doch auch einen Ruf zu verlieren. Als Autor. Als öffentliche Persönlichkeit.“
„ Ich war bei ihm, Frau Bruckheimer. Habe versucht, ihn zur Rede zu stellen. Und es hat mir einmal mehr deutlich gemacht, dass er etwas mit der Sache zu tun hat. Aber ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich kann ihm nichts nachweisen. Und ich habe auch keinen Bedarf an weiteren Alleingängen. Ich muss
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