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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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großen Flasche mit einer Flüssigkeit be- spritzt, es hat auch geholfen, aber diese Flüssigkeit hat einen unerträglichen Geruch gehabt, noch jetzt wenn man die Nase zum Kanapee hält, riecht man es. Der Student ist sicher unser Feind, wie alle hier, Du mußt Dich auch vor allen in acht nehmen und Dich mit kei- nem einlassen."
       „Du Robinson", sagte Karl, „das ist aber ein schwerer Dienst. Da hast Du mich für einen schönen Posten emp- fohlen."
       „Mach Dir keine Sorgen", sagte Robinson und schüt- telte mit geschlossenen Augen den Kopf um alle mögli- chen Sorgen Karls abzuwehren, „der Posten hat auch Vorteile wie sie Dir kein anderer Posten bieten kann. Du bist immerfort in der Nähe einer Dame wie Brunelda ist, Du schläfst manchmal mit ihr im gleichen Zimmer, das bringt schon, wie Du Dir denken kannst, verschiedene Annehmlichkeiten mit sich. Du wirst reichlich bezahlt werden, Geld ist in Menge da, ich habe als Freund des Delamarche nichts bekommen, nur wenn ich ausgegan- gen bin, hat mir Brunelda immer etwas mitgegeben, aber Du wirst natürlich bezahlt werden, wie ein anderer Die- ner. Du bist ja auch nichts anderes. Das Wichtigste für Dich aber ist, daß ich Dir den Posten sehr erleichtern werde. Zunächst werde ich natürlich nichts machen, da- mit ich mich erhole, aber wie ich nur ein wenig erholt bin, kannst Du auf mich rechnen. Die eigentliche Bedie- nung Bruneldas behalte ich überhaupt für mich, also das Frisieren und Anziehn, soweit es nicht Delamarche be- sorgt. Du wirst Dich nur um das Aufräumen des Zim- mers, um Besorgungen und die schwereren häuslichen Arbeiten zu kümmern haben."
       „Nein Robinson", sagte Karl, „das alles verlockt mich nicht."
       „Mach keine Dummheiten Roßmann", sagte Robin- son ganz nahe an Karls Gesicht, „verscherze Dir nicht diese schöne Gelegenheit. Wo bekommst Du denn gleich einen Posten? Wer kennt Dich? Wen kennst Du? Wir, zwei Männer, die schon viel erlebt haben und große Erfahrung besitzen, sind wochenlang herumgelaufen, ohne Arbeit zu bekommen. Es ist nicht leicht, es ist sogar verzweifelt schwer."
       Karl nickte und wunderte sich, wie vernünfig Robin- son auch sprechen konnte. Für ihn hatten diese Rat- schläge allerdings keine Geltung, er durfe hier nicht bleiben, in der großen Stadt würde sich wohl ein Platz- chen noch für ihn finden, die ganze Nacht über, das wußte er, waren alle Gasthäuser überfüllt, man brauchte Bedienung für die Gäste, darin hatte er nun schon Übung, er würde sich schon rasch und unauffällig in irgend einen Betrieb einfügen. Gerade im gegenüberlie- genden Hause war unten ein kleines Gasthaus unterge- bracht, aus dem eine rauschende Musik hervordrang Der Haupteingang war nur mit einem großen gelben Vorhang verdeckt, der manchmal von einem Lufzug be- wegt mächtig in die Gasse hinaus flatterte. Sonst war es in der Gasse freilich viel stiller geworden. Die meisten Balkone waren finster, nur in der Ferne fand sich noch hier oder dort ein einzelnes Licht, aber kaum faßte man es für ein Weilchen ins Auge, erhoben sich dort die Leute, und während sie in die Wohnung zurückdrängten griff ein Mann an die Glühlampe und drehte, als letzter auf dem Balkon zurückbleibend nach einem kurzen Blick auf die Gasse das Licht aus.
       „Nun beginnt ja schon die Nacht", sagte sich Karl, bleibe ich noch länger hier, gehöre ich schon zu ihnen." Er drehte sich um, um den Vorhang vor der Wohnungs- tür wegzuziehn. „Was willst Du?" sagte Robinson und stellte sich zwischen Karl und den Vorhang. „Weg will ich", sagte Karl, „laß mich, laß mich!" „Du willst sie doch nicht stören", rief Robinson, „was fällt Dir denn nur ein." Und er legte Karl die Arme um den Hals, hieng sich mit seiner ganzen Last an ihn, umklammerte mit den Beinen Karls Beine und zog ihn so im Augen- blick auf die Erde nieder. Aber Karl hatte unter den Lifjungen ein wenig raufen gelernt, und so stieß er Ro- binson die Faust unter das Kinn, aber schwach und voll Schonung. Der gab Karl noch rasch und ganz rück- sichtslos mit dem Knie einen vollen Stoß in den Bauch, fing dann aber, beide Hände am Kinn, so laut zu heulen an, daß von dem benachbarten Balkon ein Mann unter wildem Händeklatschen „Ruhe" befahl. Karl lag noch ein wenig still, um den Schmerz, den ihm der Stoß Ro- binsons verursacht hatte, zu verwinden. Er wendete nur das Gesicht zum Vorhang hin, der ruhig und schwer vor dem offenbar dunklen Zimmer hieng.

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