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Der Verschollene

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Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Transport auf- genommen hätte, wäre ja alles bald fertig gewesen, aber Brunelda wollte es niemandem außer mir anvertrauen. Das war ja sehr schön, aber ich habe damals meine Ge- sundheit für mein ganzes Leben verdorben und was ha- be ich denn sonst gehabt, als meine Gesundheit. Wenn ich mich nur ein wenig anstrenge sticht es mich hier und hier und hier. Glaubst Du, diese Jungen im Hotel, diese Grasfrösche – was sind sie denn sonst? – hätten mich jemals besiegen können, wenn ich gesund wäre. Aber was mir auch fehlen sollte, dem Delamarche und der Brunelda sage ich kein Wort, ich werde arbeiten, solange es gehn wird und bis es nicht mehr gehn wird, werde ich mich hinlegen und sterben und dann erst, zu spät, wer- den sie sehn, daß ich krank gewesen bin und trotzdem immerfort und immerfort weitergearbeitet und mich in ihren Diensten zu Tode gearbeitet habe. Ach Roß- mann", sagte er schließlich und trocknete die Augen an Karls Hemdärmel. Nach einem Weilchen sagte er: „Ist Dir denn nicht kalt, Du stehst da so im Hemd." „Geh Robinson", sagte Karl, „immerfort weinst Du. Ich glaube nicht, daß Du so krank bist. Du siehst ganz gesund aus, aber weil Du immerfort da auf dem Balkon liegst, hast Du Dir so verschiedenes ausgedacht. Du hast vielleicht manchmal einen Stich in der Brust, das habe ich auch, das hat jeder. Wenn alle Menschen wegen jeder Kleinigkeit so weinen wollten, wie Du, müßten da die Leute auf allen Baikonen weinen."
       „Ich weiß es besser", sagte Robinson und wischte nun die Augen mit dem Zipfel seiner Decke. „Der Student der nebenan bei der Vermieterin wohnt die auch für uns kochte, hat mir letzthin als ich das Eßgeschirr zurück- brachte gesagt: ‚Hören Sie einmal Robinson, sind Sie nicht krank?' Mir ist verboten mit den Leuten zu reden und so habe ich nur das Geschirr hingelegt und wollte weggehn. Da ist er zu mir gegangen und hat gesagt: ‚Hören Sie Mann, treiben Sie die Sache nicht zum Äu- ßersten, Sie sind krank.' ‚Ja also ich bitte, was soll ich denn machen', habe ich gefragt. ‚Das ist Ihre Sache', hat er gesagt und hat sich umgedreht. Die andern dort bei Tisch haben gelacht, wir haben ja hier überall Feinde und so bin ich lieber weggegangen."
       „Also Leuten, die Dich zum Narren halten, glaubst Du, und Leuten, die es mit Dir gut meinen, glaubst Du nicht."
       „Aber ich muß doch wissen, wie mir ist", fuhr Robin- son auf, kehrte aber gleich wieder zum Weinen zurück.
       „Du weißt eben nicht, was Dir fehlt, Du solltest ir- gend eine ordentliche Arbeit für Dich suchen, statt hier den Diener des Delamarche zu machen. Denn soweit ich nach Deinen Erzählungen und nach dem, was ich selbst gesehen habe, urteilen kann, ist das hier kein Dienst, sondern eine Sklaverei. Das kann kein Mensch ertragen, das glaube ich Dir. Du aber denkst, weil Du der Freund des Delamarche bist, darfst Du ihn nicht verlassen. Das ist falsch, wenn er nicht einsieht, was für ein elendes Leben Du führst, so hast Du ihm gegenüber nicht die geringsten Verpflichtungen mehr."
    „Du glaubst also wirklich, Roßmann, daß ich mich
wieder erholen werde, wenn ich das Dienen hier auf-
gebe."
„Gewiß", sagte Karl.
„Gewiß?" fragte nochmals Robinson.
„Ganz gewiß", sagte Karl lächelnd.
„Dann könnte ich ja gleich anfangen, mich zu erho-
len", sagte Robinson und sah Karl an.
„Wieso denn?" fragte dieser.
„Nun weil Du doch meine Arbeit hier übernehmen
sollst", antwortete Robinson.
„Wer hat Dir denn das gesagt?" fragte Karl.
    „Das ist doch ein alter Plan. Davon wird ja schon seit einigen Tagen gesprochen. Es hat damit angefangen, daß Brunelda mich ausgezankt hat, weil ich die Wohnung nicht genug sauber halte. Natürlich habe ich verspro- chen, daß ich alles gleich in Ordnung bringen werde. Nun ist das aber sehr schwer. Ich kann z. B. in meinem Zustand nicht überall hinkriechen, um den Staub weg- zuwischen, man kann sich schon in der Mitte des Zim- mers nicht rühren, wie erst dort zwischen den Möbeln und den Vorräten. Und wenn man alles genau reinigen will, muß man doch auch die Möbel von ihrem Platz wegschieben und das soll ich allein machen? Außerdem müßte das alles ganz leise geschehn, weil doch Brunelda, die ja das Zimmer kaum verläßt nicht gestört werden darf. Ich habe also zwar versprochen, daß ich alles rein machen werde, aber rein gemacht habe ich es tatsächlich nicht. Als Brunelda das bemerkt hat, hat sie zu Dela- marche gesagt, daß das nicht so

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