Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
die er in den Sprechtrichter sagte, war er sehr sparsam und of sah man sogar, daß er vielleicht gegen den Sprecher etwas einzuwenden hatte, ihn etwas genauer fragen wollte, aber gewisse Worte, die er hörte zwangen ihn, ehe er seine Absicht ausführen konnte, die Augen zu senken und zu schreiben. Er muß- te auch nicht reden, wie der Onkel Karl leise erklärte, denn die gleichen Meldungen, wie sie dieser Mann auf- nahm, wurden noch von zwei andern Angestellten gleichzeitig aufgenommen und dann verglichen, so daß Irrtümer möglichst ausgeschlossen waren. In dem glei- chen Augenblick als der Onkel und Karl aus der Tür getreten waren, schlüpfe ein Praktikant hinein und kam mit dem inzwischen beschriebenen Papier heraus. Mit- ten durch den Saal war ein beständiger Verkehr von hin und her gejagten Leuten. Keiner grüßte, das Grüßen war abgeschaf, jeder schloß sich den Schritten des ihm vor- hergehenden an und sah auf den Boden auf dem er mög- lichst rasch vorwärtskommen wollte oder fieng mit den Blicken wohl nur einzelne Worte oder Zahlen von Pa- pieren ab, die er in der Hand hielt und die bei seinem Laufschritt flatterten.
    „Du hast es wirklich weit gebracht", sagte Karl einmal auf einem dieser Gänge durch den Betrieb, auf dessen Durchsicht man viele Tage verwenden mußte, selbst wenn man jede Abteilung gerade nur gesehen haben wollte.
    „Und alles habe ich vor dreißig Jahren selbst einge- richtet, mußt Du wissen. Ich hatte damals im Hafenvier- tel ein kleines Geschäf und wenn dort im Tag fünf Ki- sten abgeladen waren, so war es viel und ich gieng aufge- blasen nachhause. Heute habe ich die drittgrößten La- gerhäuser im Hafen und jener Laden ist das Eßzimmer und die Gerätkammer der fünfundsechzigsten Gruppe meiner Packträger."
       „Das grenzt ja ans Wunderbare", sagte Karl.
       „Alle Entwicklungen gehn hier so schnell vor sich", sagte der Onkel das Gespräch abbrechend.
       Eines Tages kam der Onkel knapp vor der Zeit des Essens, das Karl wie gewöhnlich allein einzunehmen ge- dachte und forderte ihn auf, sich gleich schwarz anzu- ziehn und mit ihm zum Essen zu kommen, an welchem zwei Geschäfsfreunde teilnehmen würden. Während Karl sich im Nebenzimmer umkleidete, setzte sich der Onkel zum Schreibtisch und sah die gerade beendete Englischaufgabe durch, schlug mit der Hand auf den Tisch und rief laut: „Wirklich ausgezeichnet!" Zweifel- los gelang das Anziehen besser, als Karl dieses Lob hör- te, aber er war auch wirklich seines Englischen schon ziemlich sicher.
       Im Speisezimmer des Onkels, das er vom ersten Abend seiner Ankunf noch in Erinnerung hatte, erho- ben sich zwei große dicke Herren zur Begrüßung, ein gewisser Green der eine, ein gewisser Pollunder der zweite, wie sich während des Tischgespräches heraus- stellte. Der Onkel pflegte nämlich kaum ein flüchtiges Wort über irgendwelche Bekannten auszusprechen und überließ es immer Karl durch eigene Beobachtung das Notwendige oder Interessante herauszufinden. Nach- dem während des eigentlichen Essens nur intime ge- schäfliche Angelegenheiten besprochen worden waren, was für Karl eine gute Lektion hinsichtlich kaufmänni- scher Ausdrücke bedeutete, und man Karl still mit sei- nem Essen sich hatte beschäfigen lassen, als sei er ein Kind, das sich vor allem ordentlich sattessen müsse, beugte sich Herr Green zu Karl hin und fragte in dem unverkennbaren Bestreben ein möglichst deutliches Eng- lisch zu sprechen, im allgemeinen nach Karls ersten ame- rikanischen Eindrücken. Karl antwortete unter einer Sterbensstille ringsherum mit einigen Seitenblicken auf den Onkel ziemlich ausführlich und suchte sich zum Dank durch eine etwas newyorkisch gefärbte Redeweise angenehm zu machen. Bei einem Ausdruck lachten sogar alle drei Herren durcheinander und Karl fürchtete schon einen groben Fehler gemacht zu haben, jedoch nein, er hatte wie ihm Herr Pollunder erklärte, sogar etwas sehr Gelungenes gesagt. Dieser Herr Pollunder schien über- haupt an Karl ein besonderes Gefallen zu finden und während der Onkel und Herr Green wieder zu den ge- schäflichen Besprechungen zurückkehrten, ließ Herr Pollunder Karl seinen Sessel nahe zu sich hin schieben, fragte ihn zuerst vielerlei über seinen Namen, seine Her- kunf und seine Reise aus, bis er dann schließlich um Karl wieder ausruhn zu lassen, lachend, hustend und eilig selbst von sich und seiner Tochter erzählte, mit der er auf einem kleinen Landgut in der Nähe von

Weitere Kostenlose Bücher