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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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wiederum schläf nicht hier im Haus, sondern in der Nähe der Garage, ich weiß wirklich selbst nicht wo. Außerdem ist es gar nicht seine Pflicht jetzt zuhause zu sein, seine Pflicht ist es nur, früh zur rechten Zeit hier vorzufahren. Aber das alles wären keine Hindernisse für Ihre augenblickliche Heimkehr, denn wenn Sie darauf bestehn, begleite ich Sie sofort zur nächsten Station der Stadtbahn, die allerdings so weit entfernt ist, daß Sie nicht viel früher zuhause ankommen dürfen, als wenn Sie früh – wir fahren ja schon um sieben Uhr – mit mir in meinem Automobil fahren wollen." „Da möchte ich, Herr Pollunder, doch lieber mit der Stadtbahn fahren", sagte Karl. „An die Stadtbahn habe ich gar nicht ge- dacht. Sie sagen selbst daß ich mit der Stadtbahn früher ankomme, als früh mit dem Automobil." „Es ist aber ein ganz kleiner Unterschied." „Trotzdem, trotzdem Herr Pollunder", sagte Karl, „ich werde in Erinnerung an Ihre Freundlichkeit immer gerne herkommen, vor- ausgesetzt natürlich daß Sie mich nach meinem heutigen Benehmen noch einladen wollen, und vielleicht werde ich es nächstens besser ausdrücken können, warum heu- te jede Minute, um die ich meinen Onkel früher sehe, für mich so wichtig ist." Und als hätte er bereits die Erlaub- nis zum Weggehn erhalten, fügte er hinzu: „Aber kei- nesfalls dürfen Sie mich begleiten. Es ist auch ganz un- nötig. Draußen ist ein Diener der mich gern zur Station begleiten wird. Jetzt muß ich nur noch meinen Hut su- chen." Und bei den letzten Worten durchschritt er schon das Zimmer, um noch in Eile einen letzten Ver- such zu machen, ob sein Hut doch vielleicht zu finden wäre. „Könnte ich Ihnen nicht mit einer Mütze aushel- fen", sagte Herr Green und zog eine Mütze aus der Tasche, „vielleicht paßt sie Ihnen zufällig." Verblüf blieb Karl stehn und sagte: „Ich werde Ihnen doch nicht Ihre Mütze wegnehmen. Ich kann ja ganz gut mit unbe- decktem Kopf gehn. Ich brauche gar nichts." „Es ist nicht meine Mütze. Nehmen Sie nur!" „Dann danke ich", sagte Karl um sich nicht aufzuhalten und nahm die Mütze. Er zog sie an und lachte zuerst, da sie ganz genau paßte, nahm sie wieder in die Hand und betrachtete sie, konnte aber das Besondere das er an ihr suchte, nicht finden; es war eine vollkommen neue Mütze. „Sie paßt so gut!" sagte er. „Also sie paßt!" rief Herr Green und schlug auf den Tisch.
       Karl gieng schon zur Tür zu, um den Diener zu holen, da erhob sich Herr Green, streckte sich nach dem reich- lichen Mahl und der vielen Ruhe, klopfe stark gegen seine Brust und sagte in einem Ton zwischen Rat und Befehl: „Ehe Sie weggehn müssen Sie von Fräulein Klara Abschied nehmen." „Das müssen Sie", sagte auch Herr Pollunder der ebenfalls aufgestanden war. Ihm hörte man es an, daß die Worte nicht aus seinem Herzen ka- men, schwach ließ er die Hände an die Hosennaht schla- gen und knöpfe immer wieder seinen Rock auf und zu, der nach der augenblicklichen Mode ganz kurz war und kaum zu den Hüfen gieng, was so dicke Leute wie Herrn Pollunder schlecht kleidete. Übrigens hatte man, wenn er so neben Herrn Green stand, den deutlichen Eindruck, daß es bei Herrn Pollunder keine gesunde Dicke war, der Rücken war in seiner ganzen Masse et- was gekrümmt, der Bauch sah weich und unhaltbar aus, eine wahre Last, und das Gesicht erschien bleich und geplagt. Dagegen stand hier Herr Green, vielleicht noch etwas dicker als Herr Pollunder, aber es war eine zusam- menhängende, einander gegenseitig tragende Dicke, die Füße waren soldatisch zusammengeklappt, den Kopf trug er aufrecht und schaukelnd, er schien ein großer Turner, ein Vorturner, zu sein.

   „Gehen Sie also vorerst", fuhr Herr Green fort, „zu Fräulein Klara. Das dürfe Ihnen sicher Vergnügen ma- chen und paßt auch sehr gut in meine Zeiteinteilung. Ich habe Ihnen nämlich tatsächlich ehe Sie von hier fortgehn etwas Interessantes zu sagen, was wahrscheinlich auch für Ihre Rückkehr entscheidend sein kann. Nur bin ich leider durch höheren Befehl gebunden, Ihnen vor Mit- ternacht nichts zu verraten. Sie können sich vorstellen, daß mir das selbst leid tut, denn es stört meine Nacht- ruhe, aber ich halte mich an meinen Aufrag. Jetzt ist viertel zwölf, ich kann also meine Geschäfe noch mit Herrn Pollunder zu Ende besprechen, wobei Ihre Ge- genwart nur stören würde und Sie können ein hübsches Weilchen mit Fräulein Klara verbringen. Punkt zwölf Uhr stellen

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