Der Verschollene
Oberkellner schnell und wartete gar nicht bis Giacomo draußen war, „Du bist auf der Stelle entlassen."
Der Oberportier nickte mehrere Male, als wären es seine eigenen Worte, die der Oberkellner nur nach- spreche.
„Die Gründe Deiner Entlassung kann ich gar nicht laut aussprechen, denn sonst müßte ich Dich einsperren lassen."
Der Oberportier sah auffallend streng zur Oberkö- chin hinüber, denn er hatte wohl erkannt, daß sie die Ursache dieser allzu milden Behandlung war.
„Jetzt geh zu Bess, zieh Dich um, übergieb Bess Deine Livree, und verlasse sofort, aber sofort das Haus."
Die Oberköchin schloß die Augen, sie wollte damit Karl beruhigen. Während er sich zum Abschied ver- beugte, sah er flüchtig, wie der Oberkellner die Hand der Oberköchin wie im Geheimen umfaßte und mit ihr spielte. Der Oberportier begleitete Karl mit schweren Schritten bis zur Tür, die er ihn nicht schließen ließ, sondern selbst noch offen hielt, um Karl nachschreien zu können: „In einer Viertelminute will ich Dich beim Haupttor an mir vorübergehen sehn, merk Dir das."
Karl beeilte sich wie er nur konnte, um nur beim Haupttor eine Belästigung zu vermeiden, aber es gieng alles viel langsamer, als er wollte. Zuerst war Bess nicht gleich zu finden und jetzt in der Frühstückszeit war alles voll Menschen, dann zeigte sich, daß ein Junge sich Karls alte Hosen ausgeborgt hatte und Karl mußte die Kleiderständer bei fast allen Betten absuchen, ehe er die- se Hosen fand, so daß wohl fünf Minuten vergangen waren, ehe Karl zum Haupttor kam. Gerade vor ihm gieng eine Dame mitten zwischen vier Herren. Sie gien- gen alle auf ein großes Automobil zu, das sie erwartete und dessen Schlag bereits ein Lakai geöffnet hielt wäh- rend er den freien linken Arm seitwärts wagrecht und steif ausstreckte, was höchst feierlich aussah. Aber Karl hatte umsonst gehof, hinter dieser vornehmen Gesell- schaf unbemerkt hinauszukommen. Schon faßte ihn der Oberportier bei der Hand und zog ihn zwischen zwei Herren hindurch, die er um Verzeihung bat, zu sich hin. Das soll eine Viertelminute gewesen sein", sagte er und sah Karl von der Seite an, als beobachte er eine schlecht gehende Uhr. „Komm einmal her", sagte er dann und führte ihn in die große Portiersloge, die Karl zwar schon längst einmal anzusehen Lust gehabt hatte, in die er aber jetzt von dem Portier geschoben nur mit Mißtrauen ein- trat. Er war schon in der Tür, als er sich umwendete und den Versuch machte, den Oberportier wegzuschieben und wegzukommen. „Nein, nein, hier geht man hinein", sagte der Oberportier und drehte Karl um. „Ich bin doch schon entlassen", sagte Karl und meinte damit, daß ihm im Hotel niemand mehr etwas zu befehlen habe. Solange ich Dich halte bist Du nicht entlassen", sagte der Portier, was allerdings auch richtig war.
Karl fand schließlich auch keine Ursache, warum er sich gegen den Portier wehren sollte. Was konnte ihm denn auch im Grunde noch geschehn? Überdies bestan- den die Wände der Portiersloge ausschließlich aus unge- heueren Glasscheiben, durch die man die Menge der im Vestibül gegeneinanderströmenden Menschen deutlich sah, als wäre man mitten unter ihnen. Ja es schien in der ganzen Portierloge keinen Winkel zu geben, in dem man sich vor den Augen der Leute verbergen konnte. So eilig es dort draußen die Leute zu haben schienen, denn mit ausgestrecktem Arm, mit gesenktem Kopf, mit spähen- den Augen, mit hochgehaltenen Gepäckstücken suchten sie ihren Weg, so versäumte doch kaum einer einen Blick in die Portiersloge zu werfen, denn hinter deren Schei- ben waren immer Ankündigungen und Nachrichten ausgehängt, die sowohl für die Gäste als für das Hotel- personal Wichtigkeit hatten. Außerdem aber bestand noch ein unmittelbarer Verkehr der Portiersloge mit dem Vestibül, denn an zwei großen Schiebefenstern sa- ßen zwei Unterportiere und waren unauförlich damit beschäfigt Auskünfe in den verschiedensten Angele- genheiten zu erteilen. Das waren geradezu überbürdete Leute und Karl hätte behaupten wollen, daß der Ober- portier, wie er ihn kannte, sich in seiner Laufahn um diese Posten herumgewunden hatte. Diese zwei Aus- kunfserteiler hatten – von außen konnte man sich das nicht richtig vorstellen – in der Öffnung des Fensters immer zumindest zehn fragende Gesichter vor sich. Un- ter diesen zehn Fragern die immerfort wechselten war of ein Durcheinander von Sprachen, als sei jeder einzel- ne
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