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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Rouzé
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zwölfjährige Junge die Witze niemals krumm nahm, die beständig auf ihn einhagelten. Er war immer vergnügt und ein guter und hilfsbereiter Kamerad.
    „Tag, Michel“, sagte Punkt Eins. „Mein herzliches Beileid, man kann dich nicht mehr ernst nehmen.“
    „Dein guter Ruf ist für alle Zeiten dahin!“ bestätigte Punkt Zwei.
    „Da müßt ihr mir schon erklären, wieso. Damit ich auch weiß, warum ich mich vor Verzweiflung umbringe.“
    „Weil du so zeitig gekommen bist, alter Freund!“
    „Du warst sogar beinahe der erste! Wir sind seit fünf Minuten hier und haben noch keine Menschenseele gefunden.“
    „Das ist doch nicht möglich! Habt ihr auch richtig nachgesehen?“
    Die Jungen durchstreiften den Lagerplatz nach allen Seiten, als bestünde die Möglichkeit, die übrigen Meerkatzen hinter einem Grashalm versteckt zu finden. Sie liefen zum Strand, an dem die sinkende Flut lange, gleichlaufende Sandkämme zurückgelassen hatte, und schrien den Kriegsruf des Stammes in alle Winde. Nichts antwortete ihnen als die spitzen Schreie erschreckter Möwen. Sie mußten sich mit der Tatsache abfinden: weder die Brüder Lefèvre, noch Pierre Faugeras, noch André Vieljeux hatten die Verabredung eingehalten.
    „Haltet ihr für möglich, daß wir uns im Tag geirrt haben?“ fragte Michel Grandier.
    „Wenn es sich nur um dich handelte, wäre die Vermutung naheliegend.“
    „Aber wir beide sind ja auch da. Alle drei hätten wir niemals denselben Fehler gemacht."
    „Wir haben geschworen, uns hier am Montag, dem 6. September, zu versammeln.“
    „Am Montag, dem 6. September, um 12 Uhr mittags“, stellte Punkt Zwei genauer fest.
    „Wir waren schließlich nicht um zwölf hier“, gab Michel zu bedenken. „Ihr beide nicht und ich auch nicht. Woher können wir wissen, daß die anderen nicht schon längst dagewesen sind?“
    „Aber warum sollten sie dann wieder abgefahren sein?“ fragte Punkt Eins.
    „Vielleicht wollten sie lieber ein bißchen in der Gegend herumbummeln, statt hier auf uns zu warten“, meinte Punkt Zwei. „Sie werden schon wiederkommen.“
    Aufs neue durchquerten sie den Lagerplatz. Plötzlich bückte sich Michel und hob eine leere Muschel auf. Ganz nahebei lag eine zweite. Beide Muschelhälften hingen noch aneinander, und es war zu sehen, daß die Schalen erst vor kurzem geöffnet worden waren.
    „Auf jeden Fall“, schloß Michel daraus, „ist heute jemand hiergewesen. Seht euch das Gras an: es ist noch ganz niedergedrückt.“
    Sie kehrten zur Hecke zurück, wo sie ihre Räder abgestellt hatten, und untersuchten den Wegrand. Dort waren Spuren zu entdecken, die nicht von ihren Rädern herrühren konnten. Eine davon war viel breiter als ein Fahrradreifen.
    „Es sieht aus wie von einem Motorrad“, meinte Punkt Eins.
    „Oder von einem Roller“, überlegte Punkt Zwei.
    „Dann ist alles klar“, sagte Michel Grandier. „Das war das Moped von Raymond und Jacques. Die anderen sind pünktlicher gewesen als wir. Und weil wir noch nicht da waren, haben sie wahrscheinlich eine kleine Spazierfahrt gemacht.“
    „Dann müßten sie bald zurück sein.“
    „Wir können es uns ja mittlerweile gemütlich machen.“ Die Brüder Petit brauchten nicht lange, um ihr Zelt aufzuschlagen. Michel besaß keines; es war ausgemacht worden, daß er mit in Pierres Zelt schlafen würde. Sie packten etwas von ihrem Proviant aus.
    Die Dämmerung brach herein. Weit in der Ferne zog auf der Straße ein singender Trupp von Radfahrern vorüber.
    „Und wenn sie nun nicht wiederkommen?“ fragte auf einmal Michel.
    Die Zwillinge wiesen den Gedanken entrüstet zurück. Der Plan, diese Ferientage gemeinsam in Courtils zu verleben, war lange besprochen, und sie hatten alle von nichts anderem geträumt. Warum sollten die Freunde auf einmal davon abgekommen sein und ihre Zelte anderswo aufgeschlagen haben?
    Aber alles Grübeln half nichts. Über Tombelaine ging glitzernd der erste Stern auf. Die Nacht breitete sich über Strand und Meer.
    „Dann muß ich eben unter freiem Himmel schlafen“, sagte Michel. „Zum Glück ist ja gutes Wetter.“
    „Kommt nicht in Frage! Wir quetschen uns zusammen!“
    „Wo Platz für zwei ist, da ist Platz auch für drei …“
    Eng aneinandergedrückt wie die Sardinen in einer Büchse schliefen sie eine Stunde später im Zelt der beiden Brüder.
    Die Nacht verlief ruhig, aber sie endete mit einem turbulenten Erwachen. Als erster schlug Michel die Augen auf. Er brauchte immer ein paar Minuten,

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