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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Rouzé
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verblaßt. Sie mußten es immer wieder dunkel werden lassen und warten, bis ihre Augen erneut die unbestimmte Helligkeit erfaßten. Dann erleuchteten sie abermals den Weg zu inren Füßen und kamen ein paar Schritte weiter. Einer der Jungen blieb jedesmal als Nachhut auf dem Fleck stehen, wo sie den schwachen Schein zuletzt gesichtet hatten, und folgte den anderen erst, wenn auch sie ihn wieder gefunden hatten. Auf diese Weise konnte er ihnen nicht entschwinden, und sie blieben auf der richtigen Fährte.
    Zum Glück wurde das Schimmern vor ihnen immer deutlicher. Sie konnten es jetzt schon sehen, sobald das elektrische Licht erloschen war, ohne erst die Augen umgewöhnen zu müssen. Dann bog der Weg um einen Felsen, und sie erblickten endlich gerade vor sich das Licht des Tages.
    Es drang durch einen nur wenige Zentimeter breiten Spalt am Ende einer trichterförmigen Höhle. Durch diesen Schornstein mußte der Rauch abgezogen sein, bevor der Luftzug auf so unverständliche Weise unterbrochen worden war. Jenseits dieser engen Öffnung war freie Luft, Licht und Weite!
    „Wenn wir hier durchkommen wollen, müssen wir uns in Mäuse verwandeln“, sagte Suzanne.
    „Oder in wilde Kaninchen“, meinte Jean.
    In der Tat mußte das Kaninchen, das sie verspeist hatten, diesen Weg genommen haben, um in seinen unterirdischen Palast zu gelangen. Aber so ein Eingang muß sich erweitern lassen, dachte Raymond, kroch in den Trichter und streckte den Arm zur Spitze aus. Er fühlte keinen rauhen Granit mehr, sondern eine feste, mit Steinen durchsetzte Erdschicht. Mit dem, was von seinem Messer übriggeblieben war, begann er, mit immer kräftigeren Stößen diese Erdschicht zu lockern und das Loch zu vergrößern. Die Steine gaben nach. Kiesel rollten, immer mehr Tageslicht drang herein.
    „Versuch es, Pierre, du bist der Dünnste. Du müßtest schon durchkommen können!“
    Pierre kroch zu der Öffnung, hackte, kratzte und zerrte. Ein besonders festsitzender großer flacher Stein hinderte ihn. Geduldig legte er ihn rundherum frei, dann packte er ihn mit beiden Händen und zog mit aller Kraft. Der Stein gab plötzlich nach und riß einen Haufen Geröll mit sich, das in die Tiefe kollerte. Pierre richtete sich auf, mit wundgerissenen Händen, aber glückstrahlend. Der Durchmesser der Öffnung hatte jetzt fast Schulterbreite. Er schob einen Ellbogen vor, dann vorsichtig den anderen; mit letzter Anspannung aller Kraft gab er sich einen Schwung und war im Freien.
    Er atmete die Luft tief in sich ein. Dann erscholl aus seiner Kehle ein gewaltiges:
    „Urra-a-uh!“
    Die Gefährten hatten jede seiner Bewegungen mit selig erregter Spannung verfolgt. Aber im Augenblick, in dem der Siegesruf an ihre Ohren drang, wurde ein anderer Laut aus der unterirdischen Tiefe vernehmbar. Es hörte sich an wie ein furchtbares Krachen, das Rollen eines gewaltigen Donners, dem ein Brausen folgte, als seien da unten tausend Schleusen geöffnet worden.
    „Was ist das?“ fragte Suzanne entsetzt.
    „Ich weiß es nicht“, sagte Raymond, „aber wir dürfen keine Sekunde Zeit mehr verlieren. Bloß schnell weg, schnell!“
    Mit ausgestreckten Armen hob er Jacques empor und hielt ihn Pierre entgegen. Aber Jacques bekam die Schultern nicht durch die Öffnung.
    Das fürchterliche Brausen unter ihnen näherte sich. Gleichzeitig erhob sich von der Tiefe her ein stürmischer Wind. War das ein Erdbeben? Ein vulkanischer Ausbruch?
    „Zurück mit dir“, sagte Pierre zu dem kleinen Kameraden. „Ich hole dich in einer Minute.“
    Er ließ ihn los, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, und erweiterte das Loch mit starken Fußtritten um ein paar Zentimeter.
    „Jetzt gib Jacques her!“
    Er faßte den Jungen unter die Achseln. Diesmal gingen die Schultern hindurch. In Sekundenschnelle fühlte Jacques sich hochgezogen und draußen niedergesetzt.
    „Nun Jean. Hopp!“
    Suzanne konnte sich schon allein helfen. Raymond warf Pierre erst den Tornister zu, dann kletterte er als letzter hinauf.
    Es war die allerhöchste Zeit. Kaum war sein Kopf am Tageslicht erschienen, als mit Donnergetöse ein wahrer Geiser aus der Tiefe emporschoß und den Häuptling der Meerkatzen hoch in die Luft schleuderte.
    Mitten zwischen seinen schreckerstarrten und gleich ihm von der hochschießenden Wassersäule völlig durchnäßten Gefährten fiel er zu Boden, ohne glücklicherweise allzugroßen Schaden erlitten zu haben.
    Der Geiser war wieder versunken. Sie hörten das Wasser zur Tiefe

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