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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Rouzé
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Rauchspur, mußten sie bis zuletzt alles versuchen.
    Die Meerkatzen beschlossen, sich eine halbe Stunde Ruhe zu gönnen, bevor sie weitergingen. Aber zehn Minuten später lagen sie alle, wie zermalmt von dumpfer Müdigkeit, in tiefem Schlaf.

VIII. Kapitel
    EIN GEISER IN DER NORMANDIE
    Raymond erwachte als erster, ließ sein Feuerzeug aufflammen und warf einen Blick auf die Uhr. Sie zeigte elf Uhr zehn. Er entsann sich, daß es etwa zwölf gewesen war, als sie hier haltgemacht hatten. Sie hatten nur eine halbe Stunde ausruhen wollen und hatten statt dessen fast einmal rund um das Zifferblatt geschlafen … Es war nun schon Nacht, die Nacht von Dienstag auf Mittwoch. So wenigstens würde er sonst gesagt haben, denn hier unter der Erde war es ja unaufhörlich Nacht.
    Er empfand brennenden Durst, und heftige Schmerzen hämmerten ihm in Nacken und Schläfen. Aber was half es? Sie mußten ihren Weg bis zur äußersten Grenze aller Kräfte fortsetzen. Raymond dachte liebevoll an seinen kleinen Bruder, und zum erstenmal, seit die Kette ihrer Mißgeschicke begonnen hatte, füllten sich seine Augen mit Tränen.
    Er weckte die ganze Gesellschaft, was nicht leicht war. Obwohl sie elf Stunden geschlafen hatten, fühlten sie sich alle sonderbar benommen und klagten über fürchterliches Kopfweh. Der Durst war zur unerträglichen Marter geworden. Ständiger Brechreiz würgte sie.
    Mühsam nahmen sie ihren Marsch wieder auf. Die Kopfschmerzen ließen ein wenig nach. Dafür wurde der Durst immer qualvoller, und bald überfiel sie aufs neue die Müdigkeit. Der Boden war hügelig und die Steigung ganz unregelmäßig; im ganzen genommen führte der Gang jedoch entschieden aufwärts. Das wunderte Pierre sehr; nach seinen Berechnungen hatten sie noch weit zu gehen, bis der Gang an der freien Luft endete.
    Sie brauchten über eine Stunde, um vielleicht zweihundert Meter zurückzulegen. Alle fünf Minuten mußten sie stehenbleiben, weil keiner mehr die Kraft besaß, den Dynamo zu bedienen. Während einer dieser Ruhepausen im Dunkeln lehnte Suzanne sich gegen die Wand und stieß einen leichten Schrei aus. Sie waren so erschöpft, daß keiner sich erkundigte, was es gebe. Dann aber hörten sie Suzanne rufen:
    „Da! Schon wieder! Es stimmt wirklich!“
    „Was stimmt, Suzanne?“ fragte Raymond. „Wassertropfen sind auf mein Gesicht gefallen. Jetzt noch einer!“
    Pierre und Raymond erschraken tief. Sie hatten beide den gleichen Gedanken: Das arme Kind begann, den Verstand zu verlieren. Durst kann den Menschen wahnsinnig werden lassen …
    „Gebt mir doch eure Hände her!“ sagte Suzanne, die ihre Angst erraten hatte. „Ihr werdet schon merken, daß ich nicht verrückt bin.“
    Sie ergriff Raymonds Finger und zog sie in der Finsternis auf gut Glück zu sich heran. Da stieß auch er einen Schrei aus. „Wasser! Tatsächlich, Wasser! Schnell, macht Licht!“
    Der kleine Jacques tastete nach dem Tornister, der in seiner Nähe lag, und setzte den Riemen in Bewegung. Sie sahen nun, daß von der granitenen Decke zwei kleine Tropfsteine herabhingen; von jedem löste sich alle fünfzehn oder zwanzig Sekunden ein Wassertropfen. Sie wären achtlos an diesem Lebensquell vorbeigestolpert, wenn sich nicht Suzanne gerade hier an die Wand gelehnt hätte.

    Ach, aber sie mußten erkennen, daß ein einziger Tropfen herzlich wenig ist! In zehn Minuten geduldigen Wartens sammelten sie auf dem Boden eines Bechers kaum soviel Wasser, wie in einem Löffel Platz hatte. Jacques in seiner Eigenschaft als Verwundeter bekam es eingeflößt. Dann kam Jean an die Reihe, dann Suzanne. Als letzter trank Raymond, sofern von Trinken überhaupt gesprochen werden konnte. Selbst wenn sie einen Tag und eine Nacht lang hier stehenblieben, würden sie für jeden keinen halben Becher voll zusammenbekommen …
    Raymond besah sich die Felswand genauer und entdeckte, daß die Tropfsteine nur einen Teil des unterirdischen Rinnsals aufnahmen. Das meiste sickerte im Hintergrund einer Felsenritze zur Tiefe und verlor sich irgendwo in einem Spalt. Wie aber sollte man dieses kümmerliche Geriesel auffangen? Sollten sie einer nach dem anderen die Zunge in die Steinrinne zwängen und den Felsen ablecken? Raymond fiel etwas Besseres ein. Er entnahm seinem Tornister ein sauberes Taschentuch und stopfte es in die granitene Höhlung. Es dauerte zehn Minuten, bis das Gewebe völlig durchtränkt war. Aber als er es über dem Becher ausdrückte, ergab das mindestens zehn Löffel Wasser. Der

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