Der verwaiste Thron 02 - Verrat
jeden, der sich Mensch nennt. Ihr Tod wird uns vielleicht ein wenig von der Ehre zurückgeben, die wir durch sie verloren haben.«
»Eine gute Antwort.« Wolkenauge wirkte zufrieden. Der Mann neigte den Kopf, als wolle er sich verbeugen, und lächelte ein zahnloses Lächeln.
Schwarzklaue grub seine Klauen in die Erde. Etwas in seinem Inneren drängte ihn dem Kampf entgegen, warf sich gegen den Käfig, den seine Gedanken um es errichtet hatten.
»Willst du keine Waffe?«, fragte Sommerwind. Sie hielt ein Schwert in der Hand, das zu groß für sie wirkte.
»Die Toten werden mir Waffen geben.« Die Worte klangen fremd. Das Ding in seinem Inneren kannte keine Sprache.
Die Frau aus dem Süden lachte und lief auf die Lichtung. »Ich werde dafür sorgen, dass du eine gute Auswahl findest!«, rief sie.
Zwei Menschen, die ein totes Schaf zwischen sich trugen, drehten sich um. Einer von ihnen sagte etwas, das Schwarzklaue nicht verstand, dann ließen sie das Schaf fallen und rannten auf das Lager zu.
Das Etwas in Schwarzklaues Innerem zerschmetterte den Käfig, fegte seine Stangen und seine Gedanken hinweg. Schwarzklaue brüllte seinen Hass in die untergehende Sonne.
»Wenn sie fragen, wem sie das zu verdanken haben«, verlangte der zahnlose Mann hinter ihm, »dann nenn meinen Namen. Sag ihnen, Daneel war es. Daneel.«
Wie ein Wintersturm kam er über sie, und wie Schneeflocken stoben sie auseinander. Seine Klauen rissen Bäuche auf, zerfetzten Kehlen, brachen Knochen. Halbwüchsige schrien, alte Männer weinten, roter Regen verklebte Schwarzklaues Fell.
Auf einen Nachtschatten kamen zehn Menschen, aber sie waren trotzdem unterlegen. Kaum einer von ihnen wusste, was Kampf bedeutete. Sie hatten getötet, gekämpft hatten sie nie.
Wir haben Glück gehabt , dachte Schwarzklaue, als er schließlich schwer atmend zwischen den Leichen stehen blieb. Wenn hier Krieger gewesen wären und nicht nur alte Männer und Kinder, lägen wir jetzt in unserem Blut und nicht sie.
Schwarzklaue grinste. Korvellan hätte das Lager ausgespäht, Strategien erdacht und Einheiten gebildet. Niemals wäre er in das Lager gestürmt. Er schien vergessen zu haben, dass die Götter Mut belohnten. Beinahe hätte auch Schwarzklaue das vergessen.
Aber jetzt erinnere ich mich wieder.
Schwarzklaue hob den Kopf. Schwarzgrauer Rauch zog über das Lager, kleine Feuer flackerten am Boden. Es roch nach verbranntem Stoff, nach Blut und Fleisch.
Die Nachtschatten hatten die Zelte angezündet, in denen sich Menschen versteckt hatten, aber der feuchte Stoff brannte kaum. Die meisten waren wohl in den Zelten erstickt, bevor sie verbrannten.
Er drehte sich um, als er Schritte hinter sich hörte. Marya, die Frau aus dem Süden, blieb vor ihm stehen.
»Wir sind so weit«, sagte sie.
Schwarzklaue nickte und folgte ihr.
Am Rand des Lagers hatten die Nachtschatten Fackeln in einem Kreis aufgestellt. Darin lagen drei Nachtschatten, die Toten dieses Kampfes. Nachtschatten hatte ihre Körper mit Alkohol aus dem Lager überschüttet. Der Gestank überlagerte all das, was sie einmal gewesen waren.
Schwarzklaue trat in den Kreis. »Kennt jemand diese beiden?«
Eine junge Frau trat vor. Sie hinkte und stützte sich auf einen Speer. »Der linke ist mein Vater. Sein Name war Joro. In seinem Leben gab es drei Frauen und acht Kinder. Er lachte viel und …«, sie lächelte, »… er konnte Kühe mit einem einzigen Schlag töten.«
Schwarzklaue sah den Toten an. Jemand hatte ihm mit einem Knüppel oder Streitkolben das Gesicht zertrümmert. »Sieht so aus, als wäre Joros Tod seinem Leben angemessen gewesen. Erweist ihm euren Respekt, denn er starb aufrecht, seinen Feind vor Augen. Möge er nie wieder allein jagen.«
Einige Nachtschatten knieten neben dem Toten nieder, andere erhoben ihre Weinschläuche oder rieben ihr Gesicht mit Erde ein. Sie hatten ihr Menschsein vielleicht abgelegt, aber nicht ihre Religionen. Sie glaubten an die Flussgötter, die Vergangenen, die Ahnen oder die Sonne.
Es gibt keine gemeinsame Trauer , hatte Korvellan gesagt, als sie die Toten ihrer ersten Schlacht geehrt hatten. Heißt das, es gibt auch kein gemeinsames Glück?
Schwarzklaue hatte damals nicht verstanden, was er damit hatte sagen wollen, aber nun sah er die Nachtschatten einzeln neben dem Toten hocken, nicht zusammen, so wie sie es im Norden getan hätten.
Er ging zum zweiten Toten, einem Mann, in dessen Brust fast ein Dutzend Pfeile steckten. »Wer kennt ihn?«
Niemand
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