Der verwaiste Thron 02 - Verrat
mehr mit ihr geschlafen hatte.
»Es gibt kein Wild mehr«, sagte er. »Wir haben alles getötet, was sich in diesen Wäldern bewegte.«
Sie stand auf und reichte ihm das Schweineohr. Er biss hinein, ohne sich zu bedanken.
»Wolkenauge hat Spuren gefunden, weniger als einen halben Tagesmarsch entfernt. Er sagt, sie stammen von einem Bär.«
Schwarzklaue zerkaute Knorpel und schluckte ihn hinunter. »Ein Bär?«
»Niemand weiß etwas davon, nur Wolkenauge, du und ich.« Sommerwind lächelte. »Es ist ein Geheimnis.«
»Was für ein Bär?«
»Ein großer.«
Ein plötzlicher Windstoß hüllte ihn in eine Wolke aus Gestank. Schwarzklaue sah zum Fluss hinunter. Der Platz, auf dem das alte Lager gestanden hatte, war immer noch verschlammt. Möwen kreisten über aufgedunsenen Kadavern, Krähen hüpften durch den Morast. Die Krieger hatten mehr gejagt, als sie essen konnten, und das Wild, das nicht gebraucht wurde, einfach dort hingeworfen, wo sie ihre Notdurft verrichteten. Er sah die Geweihe von Hirschen, die Hufe von Rehen und borstiges, verdrecktes Wildschweinfell, aber keinen einzigen Bären.
»Wo ist Wolkenauge?«
»Er wartet am Bach auf uns.«
»Gut.« Er warf das Schweineohr zur Seite und ging zwischen den Zelten hindurch. Die meisten Nachtschatten standen gerade erst auf. Sie grüßten ihn, wenn er an ihnen vorbeiging, ein paar – Männer und Frauen aus dem Süden – salutierten sogar. Er grüßte die, die es wert waren, und ignorierte die anderen.
»Du hast deine Waffen vergessen«, sagte Sommerwind. Er ging so schnell, dass sie ihm kaum folgen konnte.
»Ich bin Schwarzklaue. Er ist ein Bär. Ich brauche keine Waffen.« Der Gedanke an den Kampf erregte ihn. Wenn sie den Bären fanden, würde er Wolkenauge bitten, ihm den Angriff zu überlassen.
Der Bach verlief östlich des Lagers durch den Wald, dessen Ende noch kein Nachtschatten entdeckt hatte. Am ersten Tag hatte Schwarzklaue so wie viele, die aus dem Norden kamen, unter den Bäumen gestanden und sich gefragt, wie es möglich war, dass etwas so grün sein konnte. Doch dann hatte er erkannt, dass er den Wald nicht mochte. Er war nicht wie das Eis, ehrlich und gleichgültig. Der Wald schien sich um die zu sorgen, die sich zwischen seinen mächtigen Stämmen befanden, und spannte sein Blätterdach zwischen sie und den Himmel. Aber es schützte nicht vor Regen, Kälte und den Pfeilen der Feinde, wie es eine Höhle im Eis tat. Der Wald täuschte Sicherheit vor, wo es keine gab.
»Woran denkst du?«, fragte Sommerwind.
Es war eine dumme Frage, also antwortete er nicht.
Sie ließen das Lager hinter sich und folgten dem Trampelpfad, den die Nachtschatten geschaffen hatten. Schwarzklaue hörte Stimmen und roch Wolkenauge, noch bevor er ihn sah. Er drehte sich zu Sommerwind um. »Ein Geheimnis, sagtest du?«
Er tauchte unter einem Ast hindurch und betrat die kleine Lichtung. Rund zwanzig Nachtschatten, die meisten in Lederrüstung und mit Schwertern und Speeren bewaffnet, standen am Bach und redeten miteinander. Wolkenauge hockte ein wenig abseits von ihnen am Boden und schärfte sein Messer mit einem Stein.
»Er ist hier«, sagte eine junge Frau, deren Namen Schwarzklaue nicht kannte. Sie sah ihn an. Aufregung ließ ihre Augen leuchten. »Wir haben auf dich gewartet.«
Der alte Jäger richtete sich auf. Seine Knie knackten, und er verzog das Gesicht. »Ich sagte ihnen, dass der Bär dir gehört. Sie wollen uns trotzdem begleiten.«
Schwarzklaue versuchte seine Enttäuschung zu verbergen. »Dann lasst uns gehen.«
»Nach Osten«, sagte Wolkenauge. Er blieb ein Stück zurück, als die anderen losgingen, und blieb neben Schwarzklaue stehen. »Man hat mich wohl gesehen, als ich das Lager verließ. Ich könnte dafür sorgen, dass sie den Bären noch nicht einmal aus weiter Ferne zu Gesicht bekommen, wenn du das möchtest.«
»Nein. Finde ihn.«
Sommerwind legte ihm die Hand auf den Arm. »Willst du ihn wirklich teilen?«
»Du musst noch viel lernen.« Er zog seinen Arm weg und nickte Wolkenauge zu. »Finde ihn.«
Auf allen vieren folgte er dem Jäger. Sommerwind schloss sich ihm an, aber er ignorierte sie. Seit seinem Gespräch mit Korvellan interessierte sie ihn nicht mehr.
Die anderen Nachtschatten warteten, bis er und Wolkenauge an ihnen vorbeigelaufen waren, dann folgten sie ihnen. Aus den Augenwinkeln sah Schwarzklaue, dass die meisten ebenso wie er auf Händen und Füßen liefen. Ihre Waffen lagen von Riemen gehalten auf ihrem Rücken. Nur
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