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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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in ihm lagen, Stück für Stück abtrug. Sogar die Menschen, die auf und mit ihm lebten, schien es zu formen. Sie waren klein und schmal, ohne die breiten Schultern und kantigen Gesichter, die Gerit von den Fischern Somerstorms kannte. Der Große Fluss glättete alles, sogar die Gedanken.
    Sein Vater war tot. So wie die meisten Menschen, die auf der Burg des Fürsten, seines Vaters, gelebt hatten. Nur er hatte den Angriff der Nachtschatten überlebt. Er und seine Schwester Ana und deren Leibwächter Jonan – die ihn in Stich gelassen hatten, die ihn allein zurückgelassen hatten unter all den Nachtschatten.
    Gerit erinnerte sich an die Angst, die er durchstanden hatte, an die Todesfurcht, während er sich auf der besetzten Festung vor den Nachtschatten versteckt hatte. Dann hatten sie ihn entdeckt – und ihn nicht wie erwartet umgebracht. Seitdem sah seine Welt anders aus. Inzwischen lebte er mit den Nachtschatten. Manchmal glaubte er, dass er wie sie dachte, doch in Wirklichkeit, das wusste er, verstand er sie nicht. Vielleicht verstanden sie nicht einmal sich selbst.
    »Gerit?«
    Er drehte den Kopf. Einer Gewohnheit folgend wollte er die Karte, die auf seinen Knien lag, in die Hosentasche stecken, doch dann strich er sie nur glatt. Er hatte keine Geheimnisse mehr.
    »Ja?«
    »Weißt du, wo Korvellan ist? Einer der Schreiner sucht ihn.«
    Sommerwind ging barfuß über Sand und kleine Steine. Wenn sie mit Gerit sprach, nahm sie meistens menschliche Gestalt an. Sie hatte eine helle Haut und langes dunkelblondes Haar. Gerit schätzte, dass sie ungefähr so alt wie er war. Er hatte sie nach ihrem Alter gefragt, aber sie wusste es nicht genau. Oben im Norden, wo sie gelebt hatte, zählte man weder die Winter noch die Sommer. Gerit fand es seltsam, das eigene Alter nicht zu wissen, fast so, als kenne man den eigenen Namen nicht.
    »Nein«, sagte er. »Ich habe ihn seit dem Morgenmahl nicht gesehen.«
    »Dann muss der Schmied ihn wohl selbst suchen.« Sommerwind blieb neben Gerit stehen. Er wollte von dem Stein aufstehen, um ihr seinen Platz anzubieten, aber sie winkte ab, als er dazu ansetzte.
    »Bleib ruhig sitzen. Der Stein ist groß genug für uns beide.«
    Gerit rutschte so weit zur Seite, wie es ging. Sommerwind setzte sich neben ihn. Ihre Hüfte drückte gegen sein Bein, ihre Schulter gegen seinen Arm. Er roch das Wasser des Großen Flusses in ihrem Haar.
    »Was hast du da?«, fragte sie.
    »Eine Karte.« Gerit betrachtete das Pergament. Es fiel ihm schwer, sich darauf zu konzentrieren. »Korvellan hat sie mir gegeben, damit ich immer sehen kann, wo wir gerade sind.«
    Sommerwind beugte sich vor. Die Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie strich sie zurück und runzelte die Stirn. »Wie denn?«
    »Siehst du diese Linien? Das sind die Grenzen der Provinzen. Die Häuser zeigen an, wo es Städte gibt, die Zeichen daneben, welchen Namen sie tragen. Da oben, das ist Somerstorm.«
    »Und wo sind wir?«
    Er zeigte auf einen kleinen Kreis mitten im Großen Fluss. »Hier.«
    »Woher willst du das wissen? Das sind doch nur Zeichen, die jemand aufgemalt hat.« Sie hob den Kopf. Ihr Gesicht war ernst, fast schon feierlich. »Oder ist das Magie?«
    Gerit lachte laut. »Was ist das denn für eine Frage?
    Es …«
    Er unterbrach sich, als Sommerwind plötzlich aufstand und sich abwandte. »Lach mich nicht aus.«
    »Das tue ich nicht.« Rasch faltete er die Karte zusammen, steckte sie in die Tasche und sprang auf. Die Wärme, die ihr Körper hinterlassen hatte, verschwand. »Sommerwind, warte.«
    »Warum? Damit du noch mehr über mich lachen kannst?« Sommerwind stapfte durch den Sand, dem Lager entgegen, dessen Rauchfahnen hinter einem Hügel aufstiegen.
    Gerit folgte ihr. »Das war doch nicht so gemeint«, rief er ihr nach. »Es tut mir leid.«
    Sie blieb stehen. Er holte zu ihr auf und ergriff ihre Hand, ohne darüber nachzudenken. Sommerwind entzog sich seinem Griff. Peinlich berührt steckte er seine Hände in die Taschen.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte er dann. »Das war eine sehr dumme Bemerkung.«
    »Ja.« Sommerwind atmete tief durch. »Dümmer als die Frage?«
    »Viel dümmer.«
    »Gut.«
    Gerit wollte wissen, ob damit alles vergessen sei, schluckte die Frage jedoch hinunter. Es galt als ein Zeichen von Stärke, sich für seine Fehler zu entschuldigen. Einen anderen durch die Bitte um Vergebung unter Druck zu setzen, war jedoch unhöflich. Das hatte er von den Nachtschatten gelernt, und er bemühte sich, danach zu

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