Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
Vom Netzwerk:
hellwachen, übereifrigen Photini Gedichte zu analysieren, vermutlich bis tief in die Nacht, überstieg seine Kräfte. In ihrer Anwesenheit fühlte sich Höttges immer unbehaglich, wie ein Hund, der von seinen Lieblingsplätzen aufgescheucht wird, weil ein Hausputz bevorsteht.
    Als alle gegangen waren, beugte sich Photini über den Tisch und schlug die Mappe wieder auf. »Ach! des Hauses zarte Bande sind gelöst auf immerdar«, las sie. Wie sentimental. Aber es kam auf die Perspektive an, dachte sie, auf den Sprecher. Das Gedicht ging weiter: »Denn sie wohnt im Schattenlande, die des Hauses Mutter war. Denn es fehlt ihr treues Walten, ihre Sorge wacht nicht mehr. An verwaister Stätte schalten wird die Fremde, liebeleer.«

    Luzius’ Hosen waren riesig. Wie viel Stoff bedurfte es für wie viel Mann?, fragte sich Sheila. Jefs Jeans waren hauteng gewesen, überhaupt kein Vergleich mit den Dingern, die Luzius trug. Sie rochen nach Pfirsich. Sheila hatte sie mit einem Markenweichspüler gewaschen, den sich ihre Mutter nicht leisten konnte. Sie hatte etwas Geld beiseite gelegt. Es stammte von Ronny Materlink. Manchmal hatte sie auch etwas von Lübben und Gunter bekommen, widerliche Versuche, ihr Schweigen zu festigen. Sie hatte es dennoch angenommen. Irgendeinen Gegenwert musste ihr Körper doch besitzen.
    Valerie war den ganzen Tag über völlig aufgelöst gewesen und zappte gerade wahllos durchs Fernsehprogramm. Sie hatte Besuch von einem weiteren Kommissar erhalten. Woytas hatte sie schon vor einem Jahr befragt. Damals hatte er auch mit Sheila gesprochen, aber so einfühlsam er es auch versuchte, Sheila hatte geschwiegen und, wie sie sich einbildete, dazu beigetragen, dass Woytas ihre Mutter nicht weiter behelligte.
    Am Vormittag war es nicht anders gewesen. Sheila hätte Woytas bedeutend mehr berichten können, schließlich wusste sie genau wann und wie oft. Die schiere Zahl der Vergewaltigungen genau zu kennen, gab ihr ein winziges Stück Kontrolle. Sonst wäre sie nicht imstande gewesen, jene Grenze zu ziehen, die sie gezogen hatte.
    Sheila faltete die Hosen zusammen und legte den Stapel auf den Wäschekorb. Ihre Unterwäsche befand sich ebenfalls darin. Anfangs hatte sie ihre gebrauchten Slips aus alter Gewohnheit aussortiert, aber seit sie unter Luzius’ Schutz stand, warf sie die Sachen, die sie einmal getragen hatte, nicht mehr weg.
    Jetzt hatte sie andere Probleme. Luzius weigerte sich. Er saß vor dem Damebrett und aß gesalzene Erdnüsse. Seine Rummelplatzmusik war verstummt. Der Plattenteller drehte sich weiter, die Nadel verharrte auf der letzten Rille.
    Sheila bot ihm an, Kakao zu kochen. Er winkte ab. Sie strich die Skizze des Triebwagens glatt. Er drehte sich weg.
    »An der Endstation steigen alle Leute aus«, sagte sie. »Wir waren dort. Es wird keine Zeugen geben.«
    »Ich mag diesen Ort nicht.«
    »Das bewohnte Gebiet fängt erst in einiger Entfernung von der Station an. Niemand hat einen Anlass, länger als unbedingt nötig an der Haltestelle Ossendorf zu bleiben.«
    Luzius antwortete nicht.
    »Die Zufahrt zum Gefängnis liegt in der Parallelstraße. In dieser Gegend gibt es kaum Spaziergänger, schon gar nicht um diese Tageszeit. Einen besseren Ort können wir uns nicht wünschen.«
    »Das verstehst du nicht.«
    »Wir bleiben länger sitzen und tun so wie ein Liebespaar. Wenn er seine Sachen zusammengepackt hat und aus der Fahrerkabine kommt, schnappst du ihn dir.«
    »Warum?«, fragte Luzius.
    »Warum?« Sheila war außer sich. »Er gehört dazu. Was spielt es für eine Rolle, dass er es nur einmal getan hat? Damit fing alles an.«
    Luzius hob den Kopf. »Menschen können sich ändern.«
    »Schön für sie.«
    »Ist dir das egal?«
    »Ja. Wir werden das zu Ende bringen. Du hast es versprochen.«
    Er nickte halbherzig. Beschützer zu sein war eines. Aber das hier überstieg seine Fähigkeiten. Er hatte es bei Materlink gemerkt. Einem Menschen die Schlinge um den Hals zu legen und ihn an den Rand des Todes bringen, vielleicht darüber hinaus – dafür war Luzius nicht mehr gemacht. Am schlimmsten war, dass Materlink keinen Widerstand geleistet hatte. Das brachte Erinnerungen zurück.
    Dennoch hatte Luzius sich von Nestor eine Pistole mit Schalldämpfer besorgt. Sie lag in der Schublade des Tisches wie ein Sprengsatz. Luzius hatte noch nie scharf geschossen. Er wollte die Waffe nicht anrühren.
    »Also gut.« Sheila nahm sich den Stadtplan noch einmal vor und rief sich die Stationen der Linie 5

Weitere Kostenlose Bücher