Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
seine Position wieder ein. Wenn sich herumsprach, dass er am Einlass nicht das letzte Wort hatte, würden es bald alle möglichen Leute auf diese Weise versuchen. Er musste das Nestor klarmachen. Der Bass Club hatte einen Ruf zu verlieren. Mark würde das ganz und gar nicht gefallen.
Er spürte das Wummern der Musik. Der Club war nahezu schalldicht. Trotzdem drangen die Bässe durch Wände und Decken herauf. Das Kribbeln in seinen Fußsohlen gefiel ihm. Die rhythmischen Vibrationen gaben ihm das Gefühl, ein Teil von alledem hier zu sein, obwohl er draußen in der Kälte stand. Unten vergnügten sich die Menschen. Sie tanzten, lachten, feierten. Luzius sorgte dafür, dass sie dabei nicht gestört wurden. Die Gäste verließen sich auf ihn. Das war wichtig. Manche von ihnen wussten es durchaus zu schätzen. Die beiden Köche zum Beispiel. Selbst wenn sie sturzbetrunken waren, hatten sie noch ein respektvolles Nicken für ihn. Er hielt Wache, damit sie das Leben genießen konnten.
Unten legten sie ein schnelleres Stück auf. Bestimmt strömten die Gäste jetzt auf die Tanzfläche. Er sah sie vor sich. Sie vergaßen alles, gaben sich der Musik hin. So sollte es sein.
Als er sich zur Arbeit aufgemacht hatte, waren aus der Wohnung über ihm ähnliche Geräusche gedrungen. Der dritte Stock. Da oben war es fast ein ganzes Jahr still gewesen. Und davor … Musik hatte er jedenfalls selten gehört, obwohl Jef in einer Band gespielt hatte. Einmal war Luzius nach oben gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Jef hatte ihm mit der Polizei gedroht. Das hatte gewirkt. Luzius war wieder in seine Wohnung gegangen. Am nächsten Tag hatte er die Frau an der Haustür abgepasst. Sie hieß Valerie, er hatte seine Frage wiederholt. Ob alles in Ordnung sei. Sie hatte ihn verständnislos angeschaut – und ihn dann stehen gelassen.
Vielleicht, hatte er gedacht, war er zu weit gegangen. Er konnte nicht davon ausgehen, dass Valerie seine Qualitäten zu würdigen verstand und ihm, einem Fremden, Vertrauen schenkte. In dem Haus wusste niemand, dass er die Dinge gern ins Reine brachte.
Der Mann war inzwischen gestorben. Ein Unfall. Luzius hatte es mit Erleichterung zur Kenntnis genommen.
Ein Ellenbogen landete mit voller Wucht an seiner Schläfe. Er ging zu Boden.
»Was ist los mit dir? Hinterher!«
Nestor stand neben ihm und versuchte ihn, auf die Beine zu zerren. »Die beiden haben die Kasse geklaut!«
Luzius brauchte ein paar Sekunden, um den Kopf klar zu bekommen. Dann erfasste er die Situation. Die Jungen, die ihre Ausweise nicht vorzeigen wollten. Er nahm die Verfolgung auf.
Sie waren noch nicht weit gekommen. Luzius sah, wie sie etwa fünfzig Meter vor ihm in eine Querstraße einbogen. Er war schnell, wenn er einmal in Fahrt kam und die Wut in ihm hochstieg wie Säure. Seine langen Beine flogen über den Asphalt. Die schwarzen Sneakers, die er auf der Arbeit immer trug, krallten sich in den Straßenbelag. Im Rennen war er gut. Das hatte ihn schon früher ausgezeichnet, als er noch jünger gewesen war als die beiden da vor ihm und sein alter Herr ihm mit einem Spazierstock Beine gemacht hatte.
Er benutzte die parkenden Autos so gut es ging als Deckung. Als er um die Ecke bog, verschwanden die Jungs gerade in einer Seitengasse. Er blieb an ihnen dran, machte kaum ein Geräusch. Sich lautlos zu bewegen, hatte ihn schon als Kind der Wahrheit näher gebracht.
Kurz darauf sah er sie wieder vor sich. Sie waren vor einem Schaufenster stehen geblieben. Die beiden hatten wohl nicht damit gerechnet, dass er ihnen gefolgt war. Es musste mehr passieren als ein Stoß mit dem Ellenbogen, um ihn zu stoppen.
Sie hatten Fahrräder. Auf die schwangen sie sich jetzt. Wahrscheinlich gehörte das zu ihrem Fluchtplan. Luzius beschleunigte und holte das Letzte aus sich heraus. Seine Arme pumpten wie die Kolben eines Dieselmotors.
Jetzt bemerkten sie, dass er hinter ihnen war. Sie traten wie verrückt in die Pedale. Derjenige, der die Geldkassette auf den Gepäckträger geschnallt hatte, kam langsamer in Tritt. Luzius fixierte den Hinterreifen und sprang.
Zu kurz. Er griff daneben und landete auf der Straße. Der Junge stieß einen höhnischen Schrei aus, schaltete einen Gang höher und raste davon. Luzius konnte ihm nur hinterhersehen.
Langsam richtete er sich auf und rieb sich die Schulter. Er hatte versagt. Die beiden waren verschwunden. Er dachte an den älteren Jungen, der die Diebe eingeschleust hatte. Vielleicht war aus ihm etwas
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