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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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dadurch geehrt fühlte. Sein Ego, so angeschlagen es inzwischen war, barg für Heide keine Geheimnisse. Sie kannte Raupach vermutlich besser, als er für möglich hielt. Seit er in Ungnade gefallen war, hatte sie ihn etwas aus den Augen verloren. Da seine Analysen aber nach wie vor Gold wert waren, hielt sie ihn darüber auf dem Laufenden, was auf der Erdoberfläche passierte.
    Sie biss genüsslich in den Berliner, den er ihr mitgebracht hatte. Er hatte eine Vanillefüllung. Ungewöhnlich, aber ideal für einen Mord, fand sie. Vanille überdeckte so gut wie jeden anderen Geschmack.
    Raupach bemerkte einen Zettel an der Pinnwand. »Hat’s dich in diesem Jahr erwischt?«, fragte er. »Die alljährliche Ode an den Chef?«
    Sie tippte sich an die Stirn und kaute.
    »Warum lasst ihr euch für die Weihnachtsfeier nicht mal etwas anderes einfallen?«
    Heide wischte Zuckerreste von ihrer Oberlippe. »Von wegen. Das kam heute mit der Post.«
    Sie kannten sich, seit Raupach in den Dienst eingetreten war. Nach einer heftigen und für beide Seiten äußerst lehrreichen Affäre hatten sie beschlossen, die Finger voneinander zu lassen. Eine Zeit lang schien das Raupach besser zu bekommen als ihr. Während Heide sich in die kriminologische Forschung mit Schwerpunkt Toxikologie verbiss, stieg er zu Kölns erfolgreichstem Ermittler auf. An seine Aufklärungsrate kam bis heute keiner von den Jüngeren heran. Sie scherte sich nicht darum, dass er untragbar geworden war, wie es hieß. Die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn war abgewiesen worden. Was hatte Himmerich erwartet? Dass er zu Kreuze kroch? Unterwerfungsgesten und Anbiederei lagen Raupach fern. Nicht aus Arroganz. Sie kamen ihm einfach nicht in den Sinn. Er hatte noch nie ein Gespür für Hierarchien besessen.
    »Ein Absender stand nicht drauf«, fügte sie hinzu. »Bin gespannt, ob du weißt, von wem das Gedicht ist.«
    Raupach fragte, ob er den Zettel von der Pinnwand lösen dürfe. Er steckte in einer Klarsichthülle.
    »Der Erkennungsdienst war schon dran. Nicht das Geringste. Typen, die so was verschicken, hinterlassen keine Spuren.«
    Keine sichtbaren, ergänzte Raupach in Gedanken. Er nahm die Klarsichthülle in die Hand und las:
    Wohltätig ist des Feuers Macht,
    Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
    Und was er bildet, was er schafft,
    Das dankt er dieser Himmelskraft;
    Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
    Wenn sie der Fessel sich entrafft,
    Einhertritt auf der eignen Spur
    Die freie Tochter der Natur.
    »Ein Dichter?«, fragte Raupach. Er konnte mit den Zeilen nichts anfangen.
    »Aber hallo. Und was für ein großer.« Heide spannte ihn gern auf die Folter. »Lies mal das Kleingedruckte.«
    Unter dem Gedicht stand noch mehr, in einer kleineren Schriftgröße: »Am Tag vor der Geburt des Erlösers werden die Menschen brennen. Es wird unter der Erde geschehen. Die Strafe wird furchtbar sein.«
    »Im Gegensatz zu dem Gedicht ist der Verfasser ein bisschen aus dem Takt gekommen«, sagte Raupach mit einem gequälten Lächeln. »Der Stil ist anders. Aber er weiß, was er will.«
    »Schiller.« Heide lehnte sich in ihrem Sessel zurück. » Das Lied von der Glocke. Schon mal gehört?«
    »Hm.«
    »Du kennst die Klassiker nicht, Raupach.«
    »Welche meinst du? Jede Epoche hat ihre eigenen.«
    »Die Glocke gehört zur Allgemeinbildung.«
    »Zu deiner Zeit vielleicht.« Heide war ein paar Jahre älter als er. In ihrer Schulzeit musste sie so etwas noch auswendig lernen. Raupach verließ sich lieber auf Recherchen. So gut wie jede sachdienliche Information war mit mehr oder weniger großem Aufwand herauszufinden, sobald man sie benötigte. Seine Bildung beschränkte sich auf Jahreszahlen, die an bestimmte Ereignisse geknüpft waren. Er hatte ein Datengedächtnis.
    »1799«, sagte er. »In diesem Jahr ist die Glocke erschienen.«
    Heide legte den Berliner auf die Papiertüte von der Bäckerei und klatschte. »Damit könntest du in einer Quizshow auftreten. Da kommt es auch nur auf oberflächliches Wissen an.« Sie wurde nicht müde, Raupachs Art zu denken als typisch männlich zu verspotten. 1799. Als ob die Welt aus Daten bestände.
    »Was hältst du davon?«, fragte sie. Raupach war wie ein hungriger Hund. Wenn man ihm einen frischen Knochen vorwarf, stürzte er sich darauf, als ob es nichts anderes gäbe. Und er hatte schon lange nichts mehr gehabt, worauf er herumkauen konnte. Alte, vergammelte Knochen auszugraben, an denen kein Stückchen Fleisch mehr war, befriedigte

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