Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
als welkes Laub von seinem Balkon zu entfernen. Es wehte von der Linde herein, die direkt vor seiner Wohnung stand. Vor einigen Stunden hatte er die letzten Blätter zusammengekehrt. Seine Balkonpflanzen standen längst an einem Ort, wo sie vor dem Frost geschützt waren. Er hatte den Oleander zurückgeschnitten. Das tat ihm jedes Mal ein bisschen weh. Die Pflanzen hatten das ganze Jahr darauf verwandt, Zweige und Blätter herauszubilden. Aber sie würden neue Triebe ansetzen und umso stärker blühen, wenn er sie stutzte.
Ein Junge mit einer Pudelmütze. Seit ein paar Wochen kam er an jedem Wochenende ins Bass. Inzwischen hielt er sich für einen Stammgast.
Mit Stammgästen war das so eine Sache. Manche ließ Luzius nach zwei, drei Besuchen kommentarlos ein. Andere brauchten Jahre, um seine Billigung zu erlangen.
Der Junge tat so, als sei er ein guter Bekannter. Er klopfte Luzius auf die Schulter und fing ein Gespräch an. Das sollte seine beiden Freunde beeindrucken. Sie traten von einem Bein aufs andere und warfen neugierige Blicke auf den Vorhang, hinter dem Nestor auf Einnahmen wartete. Der Kleinere war besonders zappelig. Luzius sah es aus dem Winkel seines gesunden Auges. Kein Grund, den Kopf zu drehen.
Er wog ab. Die drei waren betrunken, hatten schon eine Pille oder so etwas genommen, viel zu früh, anscheinend hatten sie die Wartezeit in der Schlange falsch eingeschätzt. Noch führten sie sich anständig auf. Von dem Jungen mit der Pudelmütze wusste Luzius, dass er über sechzehn war. Von den anderen wollte er jetzt die Ausweise sehen.
Sie protestierten. Das war unklug. Luzius blieb freundlich. Er wies sie mit einer Äußerung des Bedauerns ab. Dann wandte er sich dem Jungen mit der Pudelmütze zu. Er dürfe zwar allein hinein, aber mit Rücksicht auf seine Freunde sollte er es lieber woanders probieren.
»Ich lasse mich nicht wie ein Kind behandeln«, sagte der Kleine, worauf ihn der Ältere zur Seite nahm. Sie gingen ein paar Schritte weg und berieten sich leise.
Luzius ließ zwei Männer Anfang dreißig ein, Köche vom Il Mulino, dem italienischen Restaurant gegenüber. Sie hatten ihren Dienst beendet und würden im Bass so lange tanzen und trinken, bis es schloss. Sie waren Nachbarn. Manchmal schickten sie einen Lehrling mit einer Leckerei aus der Küche vorbei, wenn im Club noch nichts los war. Luzius verbeugte sich und sagte ihnen, dass Mattes und Thierry schon unten seien. Den aktuellen Stand diverser Liebschaften zu kennen, gehörte zu seiner Arbeit. Die Köche bedankten sich lachend und verschwanden hinter dem Vorhang.
Bevor er sich mit den nächsten Gästen befassen konnte, trat der ältere Junge an ihn heran. Er wollte jetzt doch allein hineingehen. Seine beiden Freunde waren noch in der Nähe. Sie standen unter einer Straßenlaterne und rauchten.
Luzius zuckte mit den Schultern und ließ ihn mit einer leichten Verbeugung passieren. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, aber er hatte auch keinen Grund, es dem Jungen zu verbieten.
Die Schlange wurde nicht kürzer. Luzius nahm einen Schluck Kaffee aus einem Thermobecher und stellte ihn zurück hinter einen Pfeiler neben dem Eingang. Er bat weitere Gäste herein. Unterdessen beobachtete er die beiden Jungen unter der Laterne. Sie warteten auf etwas, das war nicht zu übersehen.
Dann kam der Ältere zurück. »Ich hab mit Nestor gesprochen«, sagte er herablassend. »Meine Freunde dürfen auch rein.« Er winkte sie heran. Sie setzten sich in Bewegung.
»Moment.« Luzius hob die Hand. »Ohne gültigen Ausweis –«
»Frag doch deinen Chef, wenn du mir nicht glaubst.«
Luzius benutzte sein Walkie-Talkie, um seinen Posten nicht zu verlassen. »Wir machen eine Ausnahme«, teilte ihm Nestor auf seine Frage mit. »Heute gibt es bestimmt keine Kontrollen, Sonntagabend, da haben die Bullen was anderes zu tun. Wie sind die Kids drauf?«
»Passabel«, antwortete Luzius wahrheitsgemäß.
»Dann lass sie durch. Das sind die Gäste von morgen.«
Er wusste nicht, was er erwidern sollte. Nestor setzte sich so gut wie nie über seine Entscheidungen hinweg. Vielleicht kannte er diesen Jungen persönlich.
»Was ist? Hast du nicht gehört?«
Luzius legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Er drückte zu. »Um zwölf seid ihr verschwunden. Sonst komm ich runter und hol euch.«
»Klar, alles klar«, stotterte der Junge, der unter Luzius’ Hand eingeknickt war.
Luzius gab den Weg frei. Keine Verbeugung. Die Jungs drückten sich vorbei.
Er nahm
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