Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
arbeite.«
Sheila setzte sich neben ihn. Sie mochte Mattes. Eigentlich hatte er einen anderen Rufnamen, aber unter »Mattes« hatte sie ihn kennen gelernt und deshalb blieb sie dabei. Die Männer, die Valerie in den letzten Monaten angeschleppt hatte, waren immer schon nach ein oder zwei Tagen stiften gegangen. Sheila hatte keinem von ihnen eine Träne nachgeweint. Mattes bildete eine wohltuende Ausnahme.
Valerie zufolge war er noch nicht offiziell eingezogen. Sheila fand es rücksichtsvoll, dass er sich nicht gleich mit Sack und Pack breit machte. Im täglichen Miteinander versuchte er sich regelrecht unsichtbar zu machen. Er wollte die eingespielte Routine zwischen Mutter und Tochter nicht stören. Aber wenn Sheila nach Hause kam, war er stets da, um sie zu begrüßen und ein paar freundliche Worte mit ihr zu wechseln. Er rauchte nicht, trank nicht und laberte sie auch nicht zu. In gewisser Weise war er noch unerschütterlicher als Luzius, auch wenn seine Schultern nur halb so breit waren. Für ihre Mutter hoffte Sheila, dass mehr daraus wurde.
»Was ist das?«, fragte sie und deutete auf einen Zeitungsausschnitt, der neben einer exakt ausgerichteten Reihe von Fotokopien auf dem Tisch lag.
»Ein Gedicht. Hast du von dem Feuerteufel gehört?«
»Ja-aa.« In der Schule redeten die Jungs andauernd von diesem Kerl mit dem Schiller-Tick. Johannes Brand, oder so ähnlich. Sheila mutmaßte, dass er etwas mit dem Tod von Chris zu tun hatte. Die Hand, die Schicksal gespielt hatte.
»Das stand in der Zeitung. Die Polizei hat es reingesetzt. Sie wollen den Mörder der Barbarossa-Leute finden.« Johan zeigte ihr den Papierstreifen.
»Der Meister kann die Form zerbrechen mit weiser Hand, zur rechten Zeit«, las Sheila. Was sollte das bezwecken? Die Bullen lagen wie immer völlig daneben.
»Was würdest du darauf antworten?«, fragte Johan.
»Häh?«
»Angenommen, du wärst der Feuerteufel.« Er schob ihr die Buchclubausgabe mit »Deutschen Gedichten« hin, die er in einem Regal im Wohnzimmer gefunden hatte. »Man hat dich herausgefordert. Mit einem Zitat aus der Glocke. Es ist ein Aufruf zur Mäßigung. Sie wollen, dass du aufhörst.«
»Womit?«
»Feuer zu legen.«
»Verständlich«, räumte sie ein.
»Gut. Aber dann kommt so etwas wie eine Drohung: Doch wehe, wenn in Flammenbächen das glühnde Erz sich selbst befreit! «
Sheila versuchte, diese Gedankengänge nachzuvollziehen. »Klingt wie eine Warnung«, sagte sie schließlich. »Damit die Sache nicht ausufert.«
»Stimmt, so könnte man es auch sehen.« Johan hätte dem Mädchen seine Zuneigung gern deutlicher gezeigt. Valerie ignorierte ihn nach ihrem letzten Gespräch. Es schien sie nicht zu interessieren, wie es jetzt weiterging. Mit Sheila konnte er dagegen über seinen nächsten Schritt reden, zumindest durch die Blume, wie man so sagte. Sie erinnerte ihn an das Mädchen aus diesem Film, Broken Wings. Beide wurden von ihren Müttern vernachlässigt.
Die Tochter, die wir nie hatten, sagte Marta. Die Kleine tat ihr ein wenig Leid. Sie machte sich zu viele Hoffnungen.
»Also, mit welchem Zitat würdest du antworten?«, fragte er.
Sheila nahm das Buch und überflog die ersten Strophen. »Nichts leichter als das«, sagte sie und deutete auf den zweiten Absatz.
Johan las die angegebene Stelle. Sie passte perfekt, Sheila hatte Recht.
Das Mädchen gefiel ihm. Seit er sie einmal mit Jefs Freund gesehen hatte, hegte Johan einen Verdacht. Wenn seine Vermutung stimmte, war Sheila tapfer. Er bedauerte, dass es keine Zukunft für ein Leben zu dritt gab.
14. Dezember
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
Nach Auskunft der überregionalen Sonntagszeitung war das Gedicht kurz vor Redaktionsschluss per E-Mail reingekommen. Gezeichnet: Johan Land. Der Chef vom Dienst war davon ausgegangen, dass die E-Mail tatsächlich von Land stammte. Sie lief über den Account der Buchhandlung, in der er gearbeitet hatte und der noch nicht gesperrt war. Von welchem Rechner er sich eingeloggt hatte, war nicht nachvollziehbar.
Die Zeilen besaßen einen ironischen Unterton, wenn man den Zusammenhang berücksichtigte. Anscheinend zeigte der Feuerteufel Humor, dachten der Chef vom Dienst und mit ihm viele Leser, was die Auflage der Sonntagszeitung in die Höhe schnellen ließ.
Aus Lands einseitigen Mitteilungen war ein Dialog geworden. Das Gedicht, das anfangs noch als
Weitere Kostenlose Bücher