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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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nächster Nähe abgefeuert wurden, riefen sie furchtbare Verbrennungen hervor. Raupach hatte es dem Kummer über den Selbstmord der Tochter zugeschrieben. Aber um aus Kummer mit dem Leben abzuschließen, fügte man sich nicht derartige Verletzungen zu. Allmählich begriff er, worauf Photini hinauswollte. Er holte sich noch einen Kaffee. Wenn er ausreichend Zucker hineintat, würde er nicht so bitter schmecken.

    »Sie kommen zu spät, Valerie.«
    Fast hätte sie es geschafft, zu ihrem Arbeitsplatz zu eilen, ihren Mantel abzustreifen, den Computer zu starten und gleichzeitig das Headset aufzusetzen, ohne dass Machinek eine Gelegenheit bekommen hätte, sie abzupassen. Aber er war aus seinem Büro geschossen, als sei der Zentralrechner abgestürzt. Jetzt stand er neben ihr und wartete auf eine Erklärung. Seine Unterlippe stülpte sich nach oben.
    Valerie war elend zumute. Sie bemerkte die Blicke der Kolleginnen neben ihrem Arbeitsplatz und in der Reihe hinter ihr. Sie sahen an ihren Bildschirmen vorbei oder taten so, als justierten sie ihr Mikro.
    »Ich war bei der Polizei«, antwortete sie. »Musste die Sachen von meinem Mann abholen.«
    »Und weiter?«
    »Es kommt nicht wieder vor.«
    »Das sagen Sie jedes Mal«, beharrte Machinek. Er konnte sich das nicht länger bieten lassen. Das sollte ruhig jeder mitbekommen.
    »Dieses Mal ist es endgültig. Die Ermittlungen sind abgeschlossen, ich muss da nicht noch mal hin.«
    »Hoffentlich.«
    »Er ist tot, was wollen Sie noch?«
    »Seien Sie nicht geschmacklos. Ich wüsste nicht, was Ihre Unpünktlichkeit mit dem Ableben Ihres Mannes zu tun hat.«
    Valerie senkte den Kopf. Was war der Grund, dass die Männer Gefallen daran fanden, sie herumzukommandieren? Unentwegt geriet sie an solche Kerle. Irgendetwas musste sie an sich haben. Seit Jef unter der Erde war, zog sie sich nicht mehr auffällig an. Sie band ihre dunkelbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz, schminkte sich nur noch dezent. Ihre Stimme klang tiefer, nachdem sie im Verlauf der Callcenter-Schulung ein Sprechtraining absolviert hatte. Sie stand finanziell auf eigenen Beinen, tat es schon immer, da von Jef keine regelmäßigen Einkünfte zu erwarten gewesen waren. Das wenige, was er bei Auftritten mit der Band verdient hatte, wenn sie von einem schäbigen Vorstadtclub für einen einzigen Abend engagiert worden waren, hatte er mit seinen Kumpels unverzüglich auf den Kopf gehauen. »Barbarossa« hatten sie sich genannt. Der Name war Gunters Einfall gewesen, keiner hatte ihm widersprochen. Obwohl er nur Bassist und Jef der eigentliche Frontmann gewesen war, hatte er stets den Ton angegeben.
    »Wie soll es weitergehen?«, fuhr Machinek fort. »Geben Sie mir ein Zeichen, Valerie, irgendetwas, woran ich sehe, dass Sie es ernst meinen.« Jetzt war er sicher, dass ihm die gesamte Belegschaft zuhörte. Hin und wieder mussten diese öffentlichen Maßregelungen sein. Er verstand es als Mitarbeitermotivation.
    »Ihr Weihnachtsbonus steht auf dem Spiel«, setzte er hinzu. »Ich hoffe, das ist Ihnen klar.«
    Sie wollte nur, dass er verschwand. Er befand sich dicht neben ihr. Sein Eau de Toilette drang in ihre Nase, ein süßliches Zeug, bestimmt sündhaft teuer. Seit dem ersten Arbeitstag bereitete es ihr Übelkeit. Wie hatte sie diese Typen satt, die »New Economy« nur als beschönigenden Begriff benutzt hatten für eine andere Form von Sklavenhalterei. Das große Rennen Ende der Neunziger, als sich die Machineks dieser Welt selbstständig machten und kräftig absahnten. Valerie hatte davon nur ein paar Brotkrumen abbekommen.
    »Ich werd’s mir merken«, sagte sie leise.
    »Heißt das, Sie wollen ab jetzt pünktlich zur Arbeit kommen? Das wäre ein Fortschritt.«
    Sie sehnte sich nach einer Zigarette. Aber wenn sie jetzt in den Raucherraum ginge, könnte sie sich endgültig von ihrem Job verabschieden.
    »Versprochen.« Das Wort rutschte ihr heraus. Eigentlich war es für besondere Anlässe reserviert. Für eine besondere Person: ihre Tochter. Wenn Valerie es benutzte, hielt sie sich daran, auf Biegen und Brechen. Sie hatte früh gelernt zu lügen. Da, wo sie aufgewachsen war, gehörte es zum Alltag, den Nachbarn etwas vorzugaukeln. Jef hatte sie aus diesem Gespinst herausgeholt – und ein neues undurchdringliches um sie gewoben. Es gab nur einen Menschen, dem sie etwas versprach. Sheila konnte ihr niemand nehmen.
    »Dann wollen wir mal sehen, ob es klappt.« Machinek sah ihr in die Augen. Seine Autorität gegenüber seinen

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