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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Dienstwagen – der ihnen derzeit nicht zustand – und befänden sich auf dem Weg zu einer neuerlichen Vernehmung der Mutter. Aber Raupach verlor schon jetzt das Interesse an dem Fall. Bald würde er sich irgendeine Ersatzhandlung suchen, bis ihn das nächste Rätsel in den Bann zog und sich die ganze Prozedur wiederholte. Manisch-depressiv nannte man das, glücklicherweise in einer halbwegs erträglichen Ausprägung. Photini konnte eine Menge von Raupach lernen, das wusste sie. Aber immer häufiger war es nur von akademischem Wert.
    Ihr Blick fiel auf die Pinnwand. Sie entdeckte das Gedicht. »Schiller«, sagte sie. »Willst du dem Chef imponieren?«

    Valerie strengte sich an. Als Erstes versuchte sie es mit der Geburtstagsmasche. Es beeindruckte die alten Leute, wenn eine Fremde ihnen zum Sechsundsiebzigsten gratulierte. Die meisten bekamen nicht oft Anrufe, das hörte Valerie schnell heraus. Sie waren froh, dass überhaupt jemand an sie dachte. Valerie wurde für eine Tochter oder Enkelin gehalten – bis sie den Irrtum aufklärte und ihre Kunden zum Plaudern animierte. Über nichts verbreiteten sich Rentner lieber als über ihre Krankheiten, weil diese nun mal einen bedeutenden Teil ihres Lebens einnahmen. Da viele alte Leute nicht mehr gut zu Fuß waren, besorgten sie sich Inkontinenzbinden, Betteinlagen und Ähnliches in der nächsten Apotheke – zu horrenden Preisen, wie Valerie immer wieder feststellte. Das Unternehmen, das sie vertrat, lieferte die Artikel frei Haus, falls eine entsprechende Menge geordert wurde.
    Es war Knochenarbeit. Die Rentner verwechselten sie mit Angehörigen, die längst das Weite gesucht hatten. Während sie intime Dinge preisgaben, sprachen sie Valerie mit allen möglichen fremden Vornamen an. Außer diesen Namen und ein paar Fotografien war ihnen nichts geblieben. Valerie stimmte in die Klagen über lieblose Pflegedienste und arrogante Ärzte ein. Wenn ich mal so alt bin, dachte sie, ist Sheila hoffentlich weit weg, vielleicht in Amerika oder Kanada. Dahin wollte sie mit ihr reisen, wenn sie genug Geld zusammengekratzt hatte. Dort hätte sie mit Jef bleiben sollen, als er noch an sich geglaubt hatte. Stattdessen waren sie nach Deutschland zurückgekehrt in dem Glauben, es auf heimischem Boden leichter zu schaffen. Das hatte sich als Trugschluss erwiesen. Der heimische Boden war ausgelaugt.
    Dann geriet Valerie an eine alte Frau, die noch ziemlich rüstig war. Sie litt nicht unter Inkontinenz, verbat sich alle Vertraulichkeiten und stauchte Valerie richtig zusammen. Vermutlich hatte sie nur auf eine solche Gelegenheit gewartet und sich an einsamen, nicht enden wollenden Nachmittagen alles genau zurechtgelegt. Es war ihr nicht zu verübeln, schließlich gab es Callcenter wie Sand am Meer, und da Senioren häufig an Preisausschreiben teilnahmen, befanden sich ihre Daten in unzähligen Adressenpools. Es kam immer wieder vor, dass Valerie jemanden in der Leitung hatte, der seinem Ärger über derartige Belästigungen Luft machte. Ab und zu kriegte sie jahrelang aufgestauten Unmut ab, das war eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Aber so schlimm wie jetzt erwischte es sie selten.
    »Was bilden Sie sich eigentlich ein?«, ging es los. »So alt bin ich noch nicht, dass ich mir das von Ihnen gefallen lassen muss. Das ist doch reine Geschäftemacherei. Schämen Sie sich nicht, für so eine Klitsche zu arbeiten? Sie sind sich wohl für gar nichts zu schade. Haben Sie Kinder? Wissen die, was Sie da tun?«
    Valerie durfte nicht auflegen, auf keinen Fall, das war ihr immer wieder eingeimpft worden. Das Gespräch durfte einzig und allein vom Kunden abgebrochen werden, niemals von ihr selbst.
    »Mein Sohn weiß, wie mit Leuten wie Ihnen umzugehen ist. Er ist Anwalt. Er wird den Anruf zurückverfolgen lassen.«
    Machinek konnte sich von seinem Büro auf einzelne Arbeitsplätze zuschalten, das wusste Valerie. Bestimmt hörte er gerade mit, er hatte sie ja auf dem Kieker. Ihr blieb keine andere Wahl, als die Tirade über sich ergehen zu lassen.
    »Sie meinen wohl, alte Menschen hätten keinen Verstand?«, ereiferte sich die Frau weiter. »Ich kenne Sie und Ihresgleichen. Erst schmeicheln Sie sich ein, und später präsentieren Sie die Rechnung. Man darf es ja nicht mehr laut sagen, wer an alledem schuld ist. Haben Sie eine Ahnung, was unsereins durchgemacht hat?«
    Valerie wartete auf das Stichwort. Bei Beleidigungen und politischen Äußerungen war es ihr gestattet aufzulegen. Ihr Finger

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