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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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schoss sein Kopf ein weiteres Mal vor. Er bekam den Teig mit dem Schnabel zu fassen und flog davon. Sheila reagierte immer noch nicht.
    Berta Goodens hatte zugesehen. Eine Erinnerung schlich durch die Trümmer ihres Geistes. Ihre Lippen zitterten. »Warum hast du stillgehalten?«, fragte sie schließlich. »Das muss doch wehtun.«
    Sheila konnte nichts erwidern. Sie versuchte etwas zu sagen, ihre Stimme erstarb. Sie hob noch einmal an. Aber die Worte wollten nicht heraus. Unvermittelt sprang sie auf. Die Vögel stoben in alle Richtungen davon. Ihre Kehle fühlte sich an, als würde sie von einem dünnen Draht abgeschnürt. Sie starrte auf ihre Verletzung. Ein einzelner Blutstropfen kullerte an ihrem Finger herab und rann über ihre Handfläche.
    Der Tropfen löste sich und fiel auf den Kies. Sheila sah, wie das Blut in die raue Oberfläche der Steinchen eindrang. Es ging ganz schnell, wie bei einem Schwamm. Dann rannte sie weg.
    Vorbei an den Wegweisern zu den Gewächshäusern. An der Tafel mit dem Grundriss des Parks, auf dem ein roter Punkt ihren Standort angab. An Bäumen aus weit entfernten Ländern, Nordamerika, Japan und dem Libanon. An einer Zierkirsche, einer Sommerlinde und einem Götterbaum. An von Grünspan überzogenen Bronzeskulpturen jugendlicher Tänzer. An vereinzelten Joggern, Müttern mit Kinderwagen und Rentnerpaaren. Die Profilsohlen ihrer Schnürstiefel gruben sich in Rindenmulch, der den Kies ablöste. Sie passierte das Hauptgebäude der Flora, einen heruntergekommenen Festsaal. Durchmaß eine nicht enden wollende Gerade und stand schließlich vor dem schmiedeeisernen Gittertor am Eingang. Die Spitzen der einzelnen Stäbe waren golden angestrichen.
    Luzius holte sie ein. Er atmete ein paar Mal durch und schöpfte Mut. »Willst du darüber sprechen?«, fragte er.
    Sheila drehte sich um. Ihre Augen lagen hinter einem Schleier.
    Er breitete die Arme aus, ein Reflex. Das hätte er schon gestern tun müssen, dachte er.
    Sie senkte den Kopf und trat einen Schritt vor. Es fiel ihr schwer, sich einem baumstarken Mann wie Luzius zu nähern. Sein Körper hatte eine Präsenz, die den meisten Menschen Angst machte. Aber sie hatte ihn genau beobachtet. Die Art, wie er gestern Nacht mit Ray fertig geworden war. Die Entschlossenheit, die er dabei an den Tag gelegt hatte. Und jetzt diese unbeholfene Frage. Sie presste sich an ihn. Erst jetzt kamen ihr endlich die Tränen.
    Luzius hielt sie fest. Daran war nichts verkehrt, fand er. Viele Frauen hielten sich an ihm fest, wenn sie aus dem Bass Club kamen. Er löste ihre Arme und setzte sie in ein Taxi, Standardprozedur. Nestor schüttelte darüber nur den Kopf und witzelte über die Gelegenheiten, die er ausließ.
    Er blieb stehen. Sheila rotzte in seinen Ärmel. Sie nuschelte etwas in den Stoff seiner Jacke. Nach einer Weile hob sie den Kopf und sprach deutlicher. Es fiel ihm nicht leicht, ihr zu folgen. Sheilas Erklärungen waren unzusammenhängend, er musste sie erst in eine Reihenfolge bringen, die er verstand. Reihenfolgen waren wichtig, sonst geriet alles aus den Fugen.
    Das Bild, das sich langsam abzeichnete, entsetzte ihn. Es war noch grässlicher, als er aufgrund ihrer Andeutungen von gestern Abend angenommen hatte. Er war nicht dumm. Er begriff. Es gab eine Reihenfolge. Sheilas Reihenfolge. Der Mann in dem Lieferwagen war nicht der Einzige gewesen.
    Nein, er würde niemandem etwas sagen.
    Nein, sie brauchte keine Angst mehr zu haben.
    Ja, sie dürfe jederzeit zu ihm kommen.
    Ja, er glaube ihr jedes Wort.
    Man könne Notwehr dazu sagen. Jeder Mensch habe ein Recht auf Notwehr. Er hatte oft davon Gebrauch gemacht. Sonst stände er nicht hier.
    Sie erzählte ihm alles. Was war und was ist. Er hatte einiges davon geahnt. Auch gewusst. Aber er hatte nichts unternommen. Dann erklärte sie ihm ihren Plan.
    Er stutzte, staunte, hatte Einwände, schluckte sie aber vorerst hinunter. Schließlich nickte er. Unter diesen Umständen gebe es noch viel zu tun. Er müsse einiges in Erfahrung bringen.
    Natürlich werde er vorsichtig sein. Seine größten Bedenken hätten sich bereits zerstreut. Der Lieferwagen stehe nicht mehr auf dem Parkplatz. Jemand habe ihn entfernt. Es sehe nicht danach aus, dass es die Polizei gewesen war. Jetzt verstehe er auch, warum.
    Nachdem sich Sheila wieder gefangen hatte, verabredeten sie ihr nächstes Treffen. Als sie ihn auf die Wange küsste, war Luzius nicht wohl dabei. Künftig mussten sie Acht geben, dass man sie nicht zusammen sah.

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