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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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ungleich schneller und heftiger ab als im Freien, dachte Johan. Die engen, schwer zugänglichen Tunnel, durch welche die Luft wie durch einen Kaminabzug fuhr, taten ein Übriges. Dank fortgesetzter Fachlektüre war er zu einem Experten geworden. Wegen der stark ansteigenden Temperatur kommt es zu erheblichen Drucksteigerungen. Gase, die normalerweise nicht brennen, heizen sich durch die Strahlungswärme und den erhöhten Druck auf, ihre Reaktionsgeschwindigkeit nimmt schlagartig zu. So kann aus einem Brand eine Explosion mit verheerenden Folgen entstehen.
    Johan rechnete fest damit. Schon als Kind hatte er direkt in die Sonne gesehen, fasziniert von der Kraft dieses fernen Himmelspunktes. Das verdarb die Augen, hieß es. Er hatte sich nicht darum gekümmert.

    Mutters Haar musste wieder gewaschen werden. Luzius wollte es tun, wenn sie ins Altenheim zurückkehrten. Eigentlich waren die Pflegerinnen dafür zuständig. Schwester Gudrun und Schwester Simona begrüßten ihn mit einer Wärme, die bei Gudrun, der älteren, Ausdruck einer stillschweigenden Komplizenschaft war, während Simona, frisch verheiratet und schwanger, ein professionelles Pflichtbewusstsein an den Tag legte. Beide freuten sich immer, ihn zu sehen. Sie hielten Luzius für einen Sohn, wie sie ihn ungeachtet ihres unterschiedlichen Alters selbst gerne hätten. Oder gerne einmal haben würden.
    Aber die Schwestern hatten wenig Zeit, die Station war unterbelegt. Also wusch er selbst seiner Mutter den Kopf. Das dauerte lange. Es war mühselig. Ihr Haar hatte eine beachtliche Länge. Sie trug es in einem Zopf, der ringförmig um ihren kleinen Schädel gewunden war, ein Kinderschädel, geschrumpft im Laufe der letzten Jahrzehnte, mit allem, was er einst enthalten hatte.
    »Schieb die Decke nicht weg!«
    Er zog den karierten Stoff wieder über ihre Beine.
    Sie nahm Finger an ihr wahr, die an ihr herumnestelten. Das konnte sie nicht leiden. »Mir ist nicht kalt!«, erwiderte Berta Goodens herrisch und stieß ihn weg.
    Er betastete seinen Unterarm. Dina hatte ihn mit einem Klammerpflaster verarztet, nachdem er in den Bass Club zurückgekommen war. Die Stelle, wo ihn das Messer erwischt hatte, schmerzte, als habe er sich an einer glühenden Herdplatte versengt.
    Er schlug die Zipfel der Decke unter Bertas Oberschenkel und schob den Rollstuhl weiter. Es war ein altes, robustes Modell, das Gestänge bestand aus Edelstahl. Luzius ölte die Naben regelmäßig, sorgte dafür, dass in den Reifen genügend Luft war, und schrubbte die herausnehmbaren Sitzbezüge mehrmals in der Woche mit einem Sanitärreiniger ab. Dadurch blieb das Gefährt in Schuss. Es verdross ihn, wenn er daran dachte, dass es die verbleibende Lebensspanne seiner Mutter mit Sicherheit überdauern würde.
    »Pinus rotundata«, sagte er, als sie eine Anpflanzung neben einem Kinderspielplatz passierten. »Eine Moorkiefer. Kommt hauptsächlich im Schwarzwald vor.«
    Obwohl ihr Gehör noch gut funktionierte, konnte seine Mutter mit den botanischen Bezeichnungen und den Herkunftsangaben auf den Metallschildern nichts anfangen. »Du musst das nicht tun, Junge«, sagte sie. »All diese Namen. Wozu soll das gut sein?« Früher hatte sie Gefallen daran gefunden. Sie war eine hingebungsvolle Gärtnerin gewesen, erinnerte sich Luzius. Sie hatte ein nie erlahmendes Interesse an allen Gewächsen gezeigt.
    In einiger Entfernung sah er auf einer Parkbank ein junges Mädchen mit Ohrwärmern sitzen. Er wunderte sich, zu nah erschienen ihm die Ereignisse der vergangenen Nacht. War sie es wirklich?
    Moorkiefer, dachte Berta. Nie gehört. Der Baum sah verkümmert aus. Mit der Bitterorange, der Sumpfzypresse und der gewaltigen Blutbuche ging es ihr nicht anders. Wie kam er darauf, dass sie so etwas aufmunterte?
    Es war anstrengend für sie, von ihrem Sohn durch die Gegend kutschiert zu werden. Aber wenigstens kam sie dadurch an die frische Luft. Es schien ihm nichts auszumachen, sie mitten am Tag in die Flora und den Botanischen Garten zu begleiten. Was für eine Arbeit hatte er eigentlich? Sie konnte sich nicht erinnern. War er Pfarrer? Das würde erklären, warum er so viel Zeit für sie hatte. Aber nein, sie verwechselte ihn mit dem Kaplan aus dem Heim. Womöglich war er ein Pfleger wie der junge Mann mit dem Ohrring, der sie zweimal die Woche badete. Oder er war Arzt, das war ebenso gut vorstellbar, da er sich immer so fürsorglich nach ihrem Befinden erkundigte. Sie hatte sich immer einen respektablen Beruf für

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