Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
sein Ziel. Bei den Tankstellenräubern würde es so ablaufen, das war nur eine Frage der Zeit. Aber manchmal bedurfte es mehr, und wenn einem die Zeit davonrannte, erst recht. Achtzehn Tage waren es noch bis zum Tag vor der Geburt des Erlösers.
»Was machst du da?«
Raupach fuhr herum. Heide war fertig.
»Nichts Besonderes«, sagte er wieder mit seiner eigenen Stimme.
»Kam mir so vor, als hättest du mit jemandem geredet.«
»Ich war allein und habe gespielt.«
Sie trug ein bodenlanges Abendkleid, schwarz wie ihre Wimperntusche. Als sie es Raupach vorführte und schwungvoll herumwirbelte, stockte ihm der Atem beim Anblick des Rückenausschnitts. Heides Rücken war ohnehin schon ein umwerfender Anblick. Deutlich zeichneten sich die einzelnen Wirbel unter der Haut ab. Zu diesem Zweck machte sie eine spezielle Gymnastik. Wenn Heide ein paar Schritte ging, setzten sich diese Wirbel in Bewegung und eine Karawane aus perfekt geformten Höckern glitt unter der Haut auf und ab. Jetzt war ihr Rückgrat bis zur Pofalte zu sehen. Raupach konnte den Blick nicht von ihr wenden.
Heide hielt ihm die Hand vor die Augen und schnippte mit dem Finger. »Name, Beruf?«
»Klex, Idiot«, erwiderte Raupach. Es war schmerzlich, aus der Hypnose zu erwachen.
»Klex?«
»So hat man mich in der Schule genannt.«
»Dann ist ja gut.«
Nach ihrer Ankunft im Präsidium trennten sie sich. Heide wurde von Paul in Empfang genommen. Photini kam Raupach mit zwei vollen Punschgläsern entgegen.
»Yamas!«, rief sie. »Jetzt wird richtig gefeiert!«
Er stieß mit ihr an und trank einen Schluck. Dann sagte er bedauernd, dass er kurz ins Archiv müsse. Er fuhr mit dem Aufzug hinunter und holte die Stofftasche mit seinen Geschenken.
Dadurch verpasste er den Anfang der Nikolauspräsentation. Es war kein Spottgedicht, wie es seit Jahren Tradition war, sondern die moderne Version eines Loblieds. Woytas stellte per Videobeamer die neue Internetpräsenz der Kölner Polizei vor. Die Startseite zeigte ein Grußwort von Himmerich, in dem er auf jüngste Ermittlungserfolge verwies. Dann demonstrierte Woytas die Navigation der Seite und klickte nacheinander die einzelnen Abteilungen durch. Im Gegensatz zur alten Website war die neue klarer strukturiert und sah vor allem viel professioneller aus. Für technische Details übergab Woytas das Wort an die Presseabteilung, der die Pflege der Website oblag.
Es war eine beeindruckende, wenn auch weitgehend humorlose Vorstellung. Das neue Gesicht der Kölner Polizei im Internet sollte seriös wirken und sich zugleich an den Nachwuchs wenden. Parallel dazu schenkten die Kantinenfrauen zuberweise Punsch aus. Das half den Anwesenden, die Flut an Marketingfloskeln zu überstehen.
Als Raupach sich unter die Zuschauer gesellte, rief der Webmaster gerade den Eintrag über das Archiv auf. Er enthielt Informationen über die Initiative des Innenministers und den Hinweis, dass im Archiv nicht nur Fälle gesammelt, sondern auch gelöst wurden. Es war ein »proaktives« Archiv, wie Raupach erstaunt hörte. Er fügte seinem Wortschatz gern neue Vokabeln hinzu.
Himmerich sprach sein Schlusswort. Er hübschte die nicht besonders erfreuliche Jahresbilanz etwas auf, machte Mut für das kommende Jahr und bedankte sich bei sämtlichen Mitarbeitern. Daraufhin stürzten sich alle auf den Tisch mit den Geschenken. Die Polizisten hatten nur darauf gewartet, sich durch den Berg aus bunten Schachteln und Kartons zu wühlen. Wenigstens ein Programmpunkt dieser Weihnachtsfeier lief ab wie gewohnt.
Es war üblich, den Kollegen, mit denen man eng zusammenarbeitete, ein symbolisches Präsent zu machen. Daraus war ein kleiner Wettbewerb entstanden, zumindest unter jenen Beamten, deren Einfallsreichtum über eine Flasche Sekt hinausging. An jedem der Päckchen klebten Namensschilder. Es entstand ein gehöriges Durcheinander, als der Sturm auf die Geschenke einsetzte.
Raupach registrierte, dass Heide das rote Buch ausfindig gemacht hatte. Das Geschenkpapier war mit lesenden Schneemännern bedruckt. Sie riss es an einem Ende auf und hielt plötzlich inne. Paul stand neben ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dabei strich er mit den Fingerspitzen über ihren nackten Rücken. Heide kicherte wie ein Backfisch und klemmte sich das Buch unter den Arm. Kurz darauf verschwanden sie Richtung Vernehmungsräume. Die waren schalldicht, wie Raupach wusste.
Nach einer Weile entdeckte er sein Päckchen. Er entfernte das Geschenkpapier und hielt eine
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