Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
kleine Holzkiste in der Hand. »Aller Anfang ist schwer«, hatte Heide auf das beiliegende Kärtchen geschrieben.
Es war ein Malkasten. Zwanzig Tuben mit Ölfarben in Reih und Glied sowie verschiedene Pinsel. Raupach fragte sich, wie sie sein jüngstes Interesse für Ölmalerei mitbekommen hatte, und bewunderte die solide Verarbeitung des Kistchens. Anscheinend nahm Heide an seinem Leben immer noch großen Anteil. Dann grübelte er über die verschiedenen Bedeutungen des Satzes auf dem Kärtchen nach. Er musterte seine ruinösen Schuhe. Die könnten auch ein wenig Farbe vertragen.
Ein Paar eleganter Stiefeletten erschien in seinem Blickfeld.
»Wie gefällt Ihnen der neue Internetauftritt?«, fragte Woytas auf seine blank polierte Art. Bei aller Akzeptanz für seinen Nachfolger wurde Raupach zunehmend klar, was er an ihm nicht mochte. Es war seine Stimme. Sie besaß den Unterton eines Mannes, der einen Satz sehr feiner und überaus scharfer Instrumente bereitliegen hatte, nur für den Fall, sie würden gebraucht.
»Was versprechen Sie sich von Ihrer Vereinbarung mit Photini?«, fragte Raupach zurück.
»Sind Sie zufrieden im Archiv?«
»Wer, meinen Sie, ist die undichte Stelle?«
»Möchten Sie eine neue Aufgabe?«
»Welche Indizien gibt es für Terrorismus im Fall Schiller?«
So konnte das noch lange weitergehen, diese Fragen zweier Gesprächspartner, die alles daransetzen, ihrem Gegenüber nicht zu antworten, sondern ihn auszuhorchen. Raupach beschloss, einen direkteren Weg einzuschlagen.
»Ich suche nach Zusammenhängen«, sagte er. »Zwischen Dingen, die unter der Erde geschahen, und die gegenwärtig über der Erde geschehen.«
»Heißt das, Sie wollen in dem Fall ermitteln?«
»Ich beschäftige mich damit. Das ist meine Pflicht.«
Woytas steckte die Hände in die Hosentaschen. Er wirkte desinteressiert. Von Raupach würde er sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Und mit Disziplinarmaßnahmen wollte er nicht drohen, das war nicht sein Stil. »Was wissen Sie darüber?«
»Nicht mehr als Sie in der Lage sind zu wissen.«
»Die Sache hat nichts mit Ihren eingekellerten Leichen zu tun«, sagte Vorderbrügge und gesellte sich zu ihnen. Seine Krawatte saß tadellos, das Karomuster war abscheulich. »Schauen Sie sich an, Raupach. Sie haben ja selbst schon etwas Unterirdisches an sich. Ihre Haut sieht aus wie vergilbter Aktendeckel.«
»Finden Sie?« Raupach betastete seine Wangen. »Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Keine Animositäten bitte«, wandte Woytas ein. »Vielleicht ist unser Kollege in seinem Archiv auf etwas gestoßen, das er uns verschweigt.«
»Wir suchen noch.«
»Ohne offizielle Anordnung?«
»Brauche ich die?«
»Bisher ist niemand zu Schaden gekommen«, sagte Vorderbrügge. »Vielleicht steigern Sie sich in etwas rein? Es wäre nicht das erste Mal.«
»Möglich«, sagte Raupach und dachte an den Mann aus der Unterführung. »Wir alle leiden manchmal unter fixen Ideen. Der Terrorismus macht manche von uns zu Kindern. Wir legen eine Rüstung an und glauben, dass sie uns schützt.« Er strich über Vorderbrügges Anzugrevers.
»Ich sage Ihnen etwas im Vertrauen, obwohl ich weiß, dass Sie es missbrauchen werden.« Woytas beschwichtigte Vorderbrügge mit einer beiläufigen Handbewegung. Damit war Raupach klar, dass die Gefahrenabwehr im Fall Schiller nur eine untergeordnete Rolle spielte. Woytas hatte die Sache vollständig an sich gerissen. »Uns liegen Hinweise vor, dass gewisse Kreise der islamischen Bevölkerung an Weihnachten eine größere Operation planen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Alles andere als das.«
»Ich verstehe, Sie wollen, dass ich mich festlege. Wenn es am Ende nur ein Verückter war, mache ich mich zum Narren. Ist es das, was Sie beabsichtigen?«
»Ich möchte wissen, ob Sie einen Einzeltäter mit persönlichem Motiv ausschließen«, fragte Raupach.
»Damit Sie selbst in diese Richtung ermitteln und eine Theorie aus dem Hut zaubern können, wenn wir nicht weiterkommen?«
»Damit der Mann gefasst wird. Sie decken nicht alle Möglichkeiten ab. Sonst hätten Sie dem Archiv längst einen entsprechenden Rechercheauftrag erteilt. Wovor haben Sie Angst, Woytas? Dass Photini Ihnen vor der Presse den Rang abläuft? Die Journalisten lieben erfolgreiche junge Frauen in Männerberufen.«
»Jetzt reicht’s!«, rief Vorderbrügge und packte Raupach an dessen fadenscheinigem Kragen. Woytas trat einen Schritt zurück. Bei einer Weihnachtsfeier
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