Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
vorschnell. Ihr fehlt die Geduld«, sagte Raupach.
»Stimmt, das ist mir auch schon aufgefallen.«
»Für Fußarbeit hat sie wenig übrig. Sie ist eine von der hyperaktiven Sorte.«
»Kann man so sagen«, erwiderte Höttges.
»Das hat natürlich auch seine Vorzüge.«
»Unbedingt!«
Raupach nickte. »Wir beide wissen, wovon wir sprechen. Aber erzählen Sie es nicht herum. Was würde das für einen Eindruck machen?« Er öffnete die Wagentür. »Und vergessen Sie, dass Sie mich hergebracht haben, das gehört nicht in Ihren Bericht. Am besten, Sie vergessen dieses Haus, diese Straße, die Namen auf dem Klingelschild, einfach alles.«
Höttges zwinkerte ihm zu und nickte. Da die Weihnachtsfeier für ihn ziemlich lange gedauert hatte, fiel ihm das nicht schwer. Er würde den Wagen am Präsidium abstellen, schnurstracks nach Hause gehen, ein heißes Bad einlassen und für den Rest des Wochenendes im Wasser liegen bleiben.
Die Wohnung befand sich im ersten Stock. Raupach joggte nach oben. Das machte er auf jeder Treppe, um halbwegs fit zu bleiben. Es brachte nicht viel, stellte aber eine Ergänzung zu seinen Spaziergängen dar. Neben der Eingangstür standen unzählige Schuhpaare. Sie bedeckten auch die Stufen zur nächsten Etage und ließen nur einen schmalen Durchgang frei.
Eine gut angezogene Frau Mitte dreißig bat Raupach herein. Sie stellte sich als Anne Siklossy vor. Ihr Mann habe leider im Büro zu tun, ausnahmsweise auch am Samstagmorgen. Sie wirkte aufgeräumt, selbstsicher und ein wenig besorgt. Die Ankündigung des korpulenten Beamten, dass ein Kommissar mit ihren beiden Jungen zu sprechen wünsche, hatte ihre Mutterinstinkte geschärft.
Die Kinder konnten es kaum erwarten, den Polizisten zu sehen – und waren tief enttäuscht, dass Raupach keine Uniform trug. »Wie sollen denn die Räuber vor dir Angst kriegen?« Laurent war fünf und nahm kein Blatt vor den Mund. Sein kleiner Bruder Konrad wiederholte die Frage in einer verstümmelten Version und suchte Schutz hinter den Beinen seiner Mutter.
»Angst brauchen die Räuber vor mir nicht zu haben«, sagte Raupach und kniete sich auf den Fußabstreifer im Vorraum der Wohnung. »Solange ich sie kriege.«
Er holte die Handschellen heraus, die er sich von Heide geborgt hatte. Laurent machte große Augen. Raupach ließ die Handschellen aufschnappen, legte eine um sein eigenes Handgelenk und kettete die andere mit einer schnellen Bewegung an den Heizkörper. »Siehst du.« Er machte eine Geste, als telefonierte er. »Jetzt kannst du Verstärkung anfordern, damit ich abgeholt und eingesperrt werde.«
Laurent überlegte einen Augenblick. Dann rannte er den Flur hinunter und kam kurz darauf mit einem schnurlosen Telefon zurück. Seine Mutter hatte Bedenken, aber Raupach winkte ab. »Zwei, zwei, neun, null, oder?«, fragte Laurent. Er begann, die Zahlen einzutippen.
»Richtig«, sagte Raupach anerkennend. Es war die Nummer des Präsidiums. Dort anzurufen wäre nicht gerade hilfreich, dachte er. »Du kannst dir Zahlen gut merken. Das ist eine hervorragende Voraussetzung, um Polizist zu werden.«
Anne Siklossy nahm ihrem Sohn den Apparat ab. »Er ist andauernd mit dem Ding zugange«, sagte sie entschuldigend. »Vor kurzem wollte er unbedingt die Nummer der Polizei wissen. Nachdem er ein paar Mal den Notruf ausprobiert hatte.«
Laurent protestierte und wollte das Telefon wiederhaben.
»Kannst du auch diese Zahlen lesen?«, fragte Raupach und holte mit seiner freien Hand seinen Polizeiausweis hervor. »Da oben steht meine Dienstnummer.«
Der Junge war beeindruckt. Er nahm die Plastikkarte und wollte anfangen, die Zahlen neben Raupachs Bild zu entziffern, als Konrad ihm den Ausweis aus der Hand riss und damit weglief. Er verschwand in einem der zahlreichen Zimmer der großzügigen Wohnung. Laurent setzte ihm nach.
»Sie sind sehr aufgeweckt«, sagte Anne Siklossy und half Raupach, an den Schlüssel für die Handschellen zu gelangen. Sein erster Einsatz nach drei Jahren war entschieden verbesserungsfähig.
»Setzen wir uns ins Wohnzimmer.« Sie ging voran und wies auf eine Ledercouch, die nach einem Designermodell aussah. Die Küche war durch einen schmalen Tresen vom Wohnraum getrennt. Sie schaltete die Espressomaschine ein. »Kaffee?«
Raupach nickte dankbar. Die Möbel wirkten schlicht, waren aber hochwertig verarbeitet. An den Wänden hingen abstrakte Gemälde, Originale, wie unschwer zu erkennen war, sowie die Reproduktion einer Weltkarte. Sie zeigte
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