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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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den Stand von 1569. Der Druck war gestochen scharf, kein Vergleich mit den billigen Postern, die es in den Kaufhäusern gab. Nordamerika war unverhältnismäßig groß, das musste an der Projektion liegen. In der unteren Ecke stand ein Copyrightvermerk: Geographisches Institut der Universität Köln. Vor einem Specksteinofen mit quadratischen Holzverblendungen lagen zwei säuberlich getrennte Haufen mit Süßigkeiten, die Nikolausausbeute der Kinder. Auf einem Sideboard stand ein Foto der vierköpfigen Familie.
    »In welcher Sache ermitteln Sie?« Die Frau setzte sich in einen Sessel ihm gegenüber.
    »Es handelt sich um die Brandstiftung auf dem Spielplatz.«
    »Auf dem Erzbergerplatz.« Sie nickte. »Schlimm, was manche Menschen aus purem Mutwillen anstellen. Die Höhle war ein Projekt unseres Kindergartens. Ich bin im Elternbeirat. Leider ist der Spielplatz öffentlich, die Raumnot, Sie verstehen?«
    »Gehen Sie mit Ihren Kindern oft dorthin?«
    »Wenn es das Wetter zulässt. Ab November ist es zu kalt und zu schmutzig. Außerdem kommen dann die Stadtstreicher.«
    »Wann waren Sie zuletzt dort?«, fragte Raupach.
    »Ende Oktober, glaube ich, kurz vor Allerheiligen. Da gab es noch ein paar Sonnentage.«
    »Laurent hat jemanden in Verdacht.«
    »Das wundert mich, immerhin ist es schon ein paar Wochen her. Aber Kinder sehen ja oft Räuber, wo keine sind, oder?«
    »Ihnen ist niemand aufgefallen? Irgendeine Person, die dort nicht hingehörte?«
    »Nein«, erwiderte sie im Brustton der Überzeugung. Es gab nur wenige Gelegenheiten, bei denen sie ihre Jungen unbeaufsichtigt ließ. Kleine Momente, in denen sie kein Auge auf sie hatte, weil sie in einem Buch oder einer Illustrierten las oder sich mit einer anderen Mutter unterhielt. Momente, nach denen sie ein schlechtes Gewissen bekam und panisch nach den beiden suchte. Laurent und Konrad versteckten sich gern.
    »Sie sind doch von der Mordkommission«, sagte sie schließlich. »Ich möchte wissen, was hinter dieser Sache steckt.«
    Raupach verstand ihre Besorgnis. Aber er durfte ihr nicht den gesamten Fall enthüllen. Andererseits konnte er nicht ausschließen, dass es der Briefeschreiber auf Kinder abgesehen hatte, so unwahrscheinlich das auch war.
    »Es hat nichts mit Laurent zu tun«, sagte er. »Aber Ihr Junge könnte ein wichtiger Zeuge sein. Wir suchen jemanden, der Feuer legt.«
    »Meinen Sie diese Geschichte mit dem Schiller-Gedicht?« Ihre Stimme überschlug sich. Beim Frühstück hatte sie die Zeitung sorgfältiger studiert als sonst.
    »Es könnte etwas damit zu tun haben.«
    »Dieser Verrückte, der ganz Köln in Brand setzen will? Und mein Sohn soll ihn kennen?«
    Ein Räuber brach in Anne Siklossys Welt ein. Raupach sah, wie ausgesetzt sie sich plötzlich all jenen Vorfällen fühlte, die sie von ihren Kindern fern zu halten versuchte. Geschehnissen, denen der Zutritt in diese ordentliche Wohnung verwehrt war und die gefälligst draußen zu bleiben hatten. Raupach war Teil dieser Außenwelt, ein Eindringling, der gerade seine Beine unter dem Couchtisch aus effektvoll gemasertem Edelholz ausstreckte. Seine Schuhe stellten allein schon eine Bedrohung dar, er schleppte Schmutz von der Straße herein, Bakterien und was sonst noch alles.
    »Vielleicht hat Laurent etwas gesehen, das uns weiterhilft«, antwortete er in möglichst ruhigem Tonfall. »Wir sprechen mit vielen Leuten. Wir sammeln Hinweise, nichts weiter.«
    Das Röcheln der Espressomaschine unterbrach ihn. Die Frau hantierte mit Tellern und Tassen, schäumte Milch auf. Das lenkte sie ab. Als sie ihm einen Cappuccino hinstellte, meldete sich eines der Kinder. Sie verließ das Wohnzimmer und sah nach dem Rechten.
    Laurent kam allein zurück und brachte Raupachs Dienstausweis mit. Die Plastikkarte wies Kauspuren auf. Solange die Mutter mit dem kleinen Konrad beschäftigt war, konnte es Raupach versuchen.
    »Hast du ein gutes Gedächtnis?« Er dachte an sein eigenes. Er musste sich wieder ans Fragenstellen gewöhnen.
    »Ja«, sagte Laurent stolz.
    »Was habt ihr gestern im Kindergarten gemacht?«
    »Der Nikolaus war da!«
    »Natürlich, wo habe ich nur meine Gedanken.« Raupach griff sich an den Kopf. »Und was war vorgestern?«
    »Basteln?« Laurent wurde unsicher. Dann fiel ihm etwas ein. »Und ich hab mein Brot nicht aufgegessen«, fügte er kleinlaut hinzu.
    Nicht schlecht, dachte Raupach. Die meisten Zeugen konnten sich nicht einmal erinnern, welche Fernsehsendung sie tags zuvor gesehen hatten.

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