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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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"Darüber darf ich nicht sprechen."
    Typisch für Zentis, dass er auf geheimnisvoll macht. Gewöhnlich ist er, erst einmal in Fahrt gekommen, beim Thema "Forschungsabteilung" nicht mehr zu stoppen und stellt sich gern als Speerspitze der medizinischen Forschung dar. Durch die gemeinsame Geiselhaft selbst ihm gegenüber milde gestimmt, gebe ich ihm noch eine Chance.
    "Und für welche Firma arbeitet ihr im Moment?"
    "Darüber möchte ich auch nicht sprechen."
    Meinetwegen, im Grunde interessiert es mich sowieso nicht. Was mich tatsächlich interessieren würde, ist die Frage, wer eigentlich an seinen Aktivitäten verdient. Ich habe keine Ahnung, ob es sich um ein Privatgeschäft unseres nicht ausgelasteten Chefarztes handelt oder um einen weiteren Unternehmenszweig der Vital-GmbH. Immerhin greift Zentis für diese Auftragsarbeiten ziemlich ungeniert auf junge Ärztinnen und Ärzte aus der Klinik zurück.
    "Solange Sie sich nicht an den Tieren aus unserer Tierpension vergreifen, können Sie dort forschen, wozu Sie lustig sind", schließt Käthe das Gespräch über die Forschungsabteilung ab.
    Diese Bemerkung beendet das Thema, außerdem ist sie ungerecht. Zwar tauchen bei jedem aus unserer klinikeigenen Tierpension verschwundenen Gast entsprechende Gerüchte auf, aber Zentis macht keine Tierversuche in der ehemaligen Geburtshilfe, und die vermissten Tiere sind bisher immer wieder aufgetaucht. Meist waren sie zu Frauchen oder Herrchen ins Krankenzimmer geschmuggelt worden.
    So schleppt sich der inzwischen späte Abend hin. Mit Stadt-Land-Fluss in immer komplizierteren Varianten vergeht die Zeit fast wie bei einem geselligen Hüttenabend oder in der Jugendherberge, zumal sich der Geiselnehmer nach Zentis' Bemerkung nicht noch einmal einmischt und auch die Polizei nichts von sich hören lässt.
    Kurz vor Mitternacht sind uns die unverbindlichen Gesprächsthemen endgültig ausgegangen und alle Buchstaben und Kontinente durchgearbeitet. Unser Geiselnehmer erlaubt uns, die Spätabendschau einzuschalten. Da es inzwischen dunkel ist, werden vorwiegend Kamerafahrten um die Humana-Klinik vom frühen Abend wiederholt, die allerdings genauso wenig aussagen wie die gelegentlichen Aufnahmen von der inzwischen im Dunkeln liegenden Klinik. Dem Polizeisprecher ist auch nichts Neues eingefallen.
    "Ja, wir haben Kontakt zum Geiselnehmer." – "Ja, es gibt eine Forderung, über die wir aber nichts sagen möchten." – "Ja, soweit bekannt, sind alle Patienten und weitere Geiseln wohlauf", und das, wie ihr weiteres Wohlergehen, sei das oberste polizeitaktische Ziel und so weiter und so weiter.
    Professor Weißkopf kommt auch wieder zu Wort, unklar, ob als Aufzeichnung oder ob er sich immer noch in der Nähe der TV-Kameras herumtreibt. Jedenfalls ist er voll der rechtschaffenden Empörung:
    "Eine Geiselnahme ist immer schrecklich, schrecklich und feige. Aber was hier geschieht, ist mehr als das. Ich finde das im höchsten Maße unmenschlich und verbrecherisch. Unseren Patienten gegenüber, zumal Patienten auf der Intensivstation! Und natürlich auch unseren aufopferungsvoll arbeitenden Kolleginnen und Kollegen gegenüber, die ..."
    "Stellen Sie das sofort ab!"
    Unser Geiselnehmer ist hörbar empört, fühlt sich offenbar missverstanden, falsch dargestellt. Käthe befolgt seinen Befehl, fragt aber trotzdem:
    "Können Sie die Wahrheit nicht vertragen?"
    "Das ist nicht die Wahrheit. Das ist Fernsehen, da wird immer alles verdreht!"
    Tatsächlich scheint unser Geiselnehmer mehr als empört. Die Stimme vibriert, die Hände zittern, die ziemlich weit aufgerissenen Augen flackern unstet.
    "Man sollte ihm die Pistole abnehmen, ehe doch noch ein Unglück geschieht", raune ich Zentis neben mir zu.
    Zentis braucht einen Moment, mich zu verstehen. Auch er hat sich über Weißkopf geärgert. Im Gegensatz zum Geiselnehmer nicht über das Gesagte, sondern über Weißkopfs Fernsehauftritt überhaupt. Das hat Weißkopf bestimmt wieder Punkte im Rennen um den Posten "Ärztlicher Direktor der Humana-Klinik" gebracht, in einem Rennen, in dem er als Professor ohnehin die besseren Chancen als Zentis hat.
    "Wir sollten ihm nicht nur die Pistole abnehmen, wir sollten ihn kampfunfähig machen, jedenfalls abhauen, sobald wie möglich. Der Typ ist doch offensichtlich verrückt! Zu allem fähig! Dem darf man kein Wort glauben!"
    Auch unser Chefarzt kommt gefährlich in Fahrt.
    "Leise, Zentis. Sonst gibt es gleich noch eine Runde Russisch Roulette!"
    Zentis fällt wieder

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