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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Ablenkung.
    "Was ist nun?" nörgelt Zentis. "Kommt der nächste Buchstabe, oder umarmen wir uns jetzt alle?"
    "Da wird Schwester Käthe sicher was dagegen haben, oder?" gebe ich zu bedenken.
    Eigentlich, glaube ich, fühlt sich Zentis ganz wohl, erlebt sich wahrscheinlich das erste Mal in der Klinik akzeptiert. Bei unseren mehr oder minder wahren Geschichten kann er allerdings nicht mithalten, hat ihn doch nie jemand der Mitarbeiter privat ins Vertrauen gezogen.
    "Sie werden zu gut für uns, Herr Chefarzt", verkündet Schwester Käthe.
    Zentis strahlt.
    "Deshalb", ergänzt sie, "sollten wir die Sache etwas schwieriger machen. Zum Beispiel alle Begriffe nur von einem Kontinent."
    "Südamerika!" stimmt Zentis begeistert zu.
    "Südamerika kommt nicht in Frage. Wie lange warst du in Argentinien?"
    "War 'n Scherz", verteidigt sich Zentis, glaubt ihm aber niemand.
    Er gehört zu den bemitleidenswerten Menschen, die immer gewinnen müssen. Ich denke nicht, dass man in unserem Alter immer noch dem Vater dafür die Schuld geben kann.
    Schließlich einigen wir uns auf Afrika.
    Es geht los mit "B", ich räume ab mit Brazzaville, Botswana, Blauer Nil. Auch die K-Runde geht glatt, Käthe gewinnt mit Kampala, Kongo und Kongo. Bei "N" gibt es den ersten Streit. Renate versucht es mit Niger, Nigeria, Niger und behauptet, die Hauptstadt von Nigeria heiße Niger.
    "Die heißt Lagos", widerspricht Zentis, hat recht und gewinnt mit "Nguru" als Stadt.
    "Wo soll denn die sein?" zweifelt Renate.
    "Im nördlichen Niger, weiß man doch."
    Wissen wir nicht, können ihm aber auch nicht das Gegenteil beweisen.
    Die M-Runde geht wieder an mich mit Marrakesch, Marokko und Moulouya. Keiner kennt den Fluss Moulouya, ich aber, schließlich war ich letztes Jahr mit Celine in Marokko und der Moulouya hatte Hochwasser. In der S-Runde allerdings kommen wir nicht weiter. Jeder kennt den Senegal, und Käthe weiß, dass der Grenzfluss zu Mauretanien auch so heißt, aber eine Stadt in Afrika mit S? Mein Vorschlag "Port Said" wird abgelehnt, ebenso wie Renates "South Johannesburg" als angeblich verwaltungstechnisch autonome Vorstadt von Johannesburg.
    "Wirklich, das könnt ihr mir glauben!"
    Tun wir aber nicht.
    "Suez", meldet sich unser Geiselnehmer von der Wand gegenüber.
    Natürlich sind wir sauer, das hätte uns auch einfallen können.
    Zentis bringt unseren Ärger auf den Punkt.
    "Dass wir in Ihrer Gewalt sind, bedeutet noch lange nicht, dass Sie mitspielen dürfen!"
    Eine wahre, wenn auch nicht sehr diplomatische Bemerkung, aber der Geiselnehmer lässt sie ihm durchgehen.
    Heute wird sogar Zentis in das Gespräch über Privates einbezogen – in jeder anderen Situation undenkbar. Renate fragt auch ihn nach seinen eigentlichen Plänen für diesen Abend.
    "Was soll ich schon groß für Pläne haben!" stöhnt Zentis mit hörbarem Stolz auf seine Arbeitsbelastung. Wie viele Zeitgenossen hält er einen Zwölf- bis Vierzehn-Stunden-Arbeitstag für den Beweis eigener Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit.
    "Es sind ja nicht nur die Klinik und die ewigen Verhandlungen mit den Vital-Leuten. Die Forschungsabteilung läuft auch nicht von alleine", beschwert er sich.
    Wie gesagt, wir verschonen Zentis weitgehend mit medizinischen Fragen, und so belastet ihn, abgesehen von den bemitleidenswerten Patienten mit der Zusatzversicherung "Chefarztbehandlung", die Klinik nur in bescheidenem Umfang. Deshalb ist die "Forschungsabteilung" zu seinem Lieblingskind geworden, wobei die Bezeichnung ein wenig euphemistisch ist.
    Letztlich führt Zentis in der ehemaligen Abteilung für Geburtshilfe, die letztes Jahr endgültig der anhaltenden Gebärunwilligkeit anheim gefallen ist, Auftragsuntersuchungen für die Pharmaindustrie durch. Dabei werden neu entwickelte Präparate, die ihre Tests auf Toxizität, Schädigung des Erbguts, mögliche Krebsauslösung und so weiter an Ratten oder Mäusen erfolgreich bestanden haben, für Geld an gesunden Freiwilligen ausprobiert. Bei diesen Untersuchungen geht es weniger um ihre medizinische Wirkung, das ist der nächsten Stufe, der Untersuchung an betroffenen Patienten, vorbehalten. Wichtiger sind hier die subjektiven Nebenwirkungen, da man im Tierversuch zwar die Leber- und Nierenfunktion messen kann, Meerschweinchen, Hunden und Ratten sich aber kaum über Kopfschmerzen, Lustlosigkeit oder Konzentrationsschwäche beklagen.
    "Was untersucht ihr denn gerade?" frage ich, um das Gespräch am Laufen zu halten.
    Zentis macht ein bedeutendes Gesicht:

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