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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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auf siebzig Zentimeter verfolgt man sonst tatsächlich nur den Wettlauf zwischen Zielankunft und tiefer Venenthrombose. Aber ob dreißigtausend Fuß über dem Atlantik oder in einer Bankfiliale, jede Geisel dürfte andere Pläne für den Tag gehabt haben. Das gilt natürlich auch für uns, die wir dieses Problem bisher nur von unseren Patienten kennen, wenn eine Krankheit sich ungefragt in ihren Lebensmittelpunkt drängt.
    "Wer kümmert sich um meinen Kanarienvogel?"
    "Ich muss doch meine neue Stelle antreten!"
    "Wie soll mein bettlägeriger Mann ohne mich zurechtkommen?"
    "Im Moment ist nur Ihre Krankheit wichtig", maßen wir uns dann ein Urteil an.
    Wieso kommt Käthe gerade auf ihre Großtante?
    "Hatten Sie heute sonst noch etwas vor, Käthe?"
    Prompt läuft ihr Hals wieder rot an.
    "Eigentlich", sie zögert etwas, "habe ich Karten für die Philharmonie."
    Auch Renate hat ein Ohr für Feinheiten. "Karten, Käthe? Wie viele?"
    Ein fast jungmädchenhaftes Lächeln umspielt kurz deren Lippen.
    "Na ja, zwei."
    "Wer ist es, Käthe?" bohrt Renate nach. "Ist er reich?"
    "Also wirklich, Renate!" falle ich schulmeisterlich ein, "Es geht doch nicht immer nur um die Knete!" Und zu Käthe gewandt: "Nun, ist er reich? Oder nur hinter Ihrer Rente her?"
    Sicher hätte Käthe zumindest mir gegenüber unter normalen Umständen nichts von ihren Philharmonie-Plänen erwähnt, aber die gemeinsame Bedrohung schafft Intimität.
    "Ich habe keine Vorstellung über seine finanziellen Verhältnisse. Er ist Witwer. Wir treffen uns heute zum erstenmal ... Bisher haben wir nur miteinander telefoniert."
    "Hey, das ist romantisch, Käthe. Und wurde auch langsam Zeit", meint Renate.
    "Ich weiß nicht ... Also heute werden wir uns jedenfalls nicht persönlich kennen lernen. Und es kann ja noch eine Menge passieren ..."
    Vielleicht habe ich Käthes Leben und ihre Ziele falsch eingeschätzt, für mich war sie immer der Idealfall der engagierten Krankenschwester: alleinstehend, keine Kinder, das Krankenhaus und ihre Patienten der Lebensmittelpunkt.
    "Machen Sie sich keine Sorgen deswegen, Käthe. Sehen Sie es positiv. Sie sind jetzt noch interessanter für den Kerl. Morgen werden Sie eine Heldin sein!"
    Zentis gewinnt wieder eine Runde, mit Köln, Kolumbien und Kocher.
    "Kocher soll ein Fluss sein?"
    "Ist ein Fluss. Mündet in den Neckar, bei Heilbronn", erklärt Zentis.
    Das wird wohl stimmen. Auch in Heilbronn hatte sich Zentis meines Wissens erfolglos in einer Herzpraxis beworben.
    "Na schön", entscheidet Renate. "Nächster Buchstabe und nächstes privates Geständnis. Was hattest du heute Abend vor, Felix? Wir wollen es aber nur wissen, wenn es nicht jugendfrei ist!"
    "Ladies first", widerspreche ich.
    "Ladies first? Seit wann so höflich, Felix?"
    "Von dir bekommen wir wenigstens was garantiert nicht Jugendfreies, Renate."
    Mit einer angedeutet lasziven Geste streicht sich Renate eine Strähne aus der Stirn.
    "Geplant war das allerdings. Patricia und ich wollten ihren Geburtstag nachfeiern und dabei jede Menge Männer aufreißen. Da ist heute so mancher Kerl an seinem Glück vorbeigeschrammt!"
    "Eher am totalen körperlichen Zusammenbruch!"
    Renate lacht verschwörerisch. An der Klinik kursieren die heißesten Geschichten über die gemeinsamen Ausflüge von Schwester Renate und Schwester Patricia, ich höre mir natürlich jede interessiert an, halte sie aber für maßlos übertrieben. Und, was Renate betrifft, wenn überhaupt eher von historischem Interesse, denn Renate hat seit Jahren ein ziemlich festes Verhältnis mit Intensivarzt Dr. Valenta, das ist kein Geheimnis. Die gesamte Humana-Klinik rätselt lediglich, ob Valentas Frau davon weiß.
    "Kaum ist Valenta an der Ostsee, lässt du hier die Puppen tanzen. Das sage ich ihm!" drohe ich scherzhaft.
    "Dann bringe ich dich um!"
    Der Geiselnehmer blickt bei diesen Worten auf, und ich werde wohl etwas blass.
    "Oh, tut mir leid, Felix!"
    Renate umarmt mich, beginnt dann plötzlich an meiner Schulter zu weinen. Ich versuche sie zu trösten.
    "Sind doch nur noch ein paar Tage."
    "Darum geht es nicht."
    Schlechtes Thema, auf das wir da gekommen sind. Es geht, sagt jedenfalls Valenta, wieder mal um die Kinder. Deshalb keine Trennung von seiner Frau. Und deshalb dreimal im Jahr Familienurlaub. Insofern ist das Verhältnis Renate/Valenta sogar verantwortlich dafür, dass Renate heute zu uns Geiseln gehört: Während dieser Familienurlaube fährt Renate Extraschichten auf der Intensivstation, zur

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