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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Komplizen unseres Geiselnehmers rückt sie wieder auf einen Spitzenplatz.
    Von der Toilette zurückgekehrt, sehe ich, wie unser Geiselnehmer nun wohl seine eigene Visite macht und gerade an Bett vier die Unterlagen durchgeht. Versteht er etwas davon? Sagen die Laborwerte ihm etwas?
    "Fassen Sie bloß nichts an", warnt in Schwester Käthe quer durch den Raum und bedeutet ihm damit auch, dass seine augenblickliche Macht noch lange nicht medizinische Kompetenz oder gar Allmacht bedeutet.
    Ich mache es mir an der Wand neben Renate gemütlich. Vielleicht kann ich von ihr noch etwas zu ihrem angeblichen Abend mit Schwester Patricia herausbekommen. Wenn nicht, ich zum Beispiel vorher einschlafe, ist der Platz neben Renate auch dafür gut gewählt.
    "Müde, Felix?"
    Mein Kopf lehnt an Renates Schultern. Offenbar sind mir schon wieder die Augen zugefallen, zollen der Tatsache Tribut, dass ich letzte Nacht Dienst gehabt und nicht zum Schlafen gekommen bin.
    "Kann man sagen. Früher habe ich die Nachtdienste besser weggesteckt."
    Bei meiner ersten Arztstelle nach dem Studium, an einer kleinen Klinik in der Nähe von Münster, schoben wir sogar sogenannte Wochenenddienste: Man blieb, wenn die Kollegen am Freitag Abend nach Hause verschwanden, in der Klinik, und stolperte Montag morgen, wenn die erfrischten Kollegen wieder auftauchten, immer noch dort herum. Worauf wir auch noch stolz waren. Warum eigentlich hat sich nie ein Patient beschwert? Ich würde mich weigern, mir von einem Arzt, den ich drei Tage und drei Nächte hintereinander in der Klinik gesehen habe, auch nur ein Pflaster aufkleben zu lassen!
    Ich kuschele mich näher an Renate und entscheide, dass morgen noch früh genug ist, sie nach Schwester Patricia zu fragen. Vielleicht ging es nur um ein abgesprochenes Alibi wegen der Tier-KZ Aktion heute nacht.
    Was uns und die draußen herumlungernde Polizei angeht, rechne ich vorerst nicht mit irgendwelchen Aktionen. Im Führungsstab der Polizei dürfte es zugehen wie überall. Sicher gibt es Falken, die den sofortigen Sturm auf die Intensivstation empfehlen und versichern, dies sei ohne Opfer möglich, oder, auch wie bekannt, über in Kauf zu nehmende Kollateralschäden schwadronieren, mit denen man Schlimmeres vermeiden würde. Die städtischen Politiker fordern wahrscheinlich eine "schnelle Bereinigung der unhaltbaren Situation", natürlich ohne Tote oder Verletzte und im Ausgang ohne Aufforderungscharakter für Nachahmungstäter. Also wird die Polizeiführung bemüht sein, nachweisbare Fehler zu vermeiden und die Situation vorerst auszusitzen. Das verspricht Ruhe für die Nacht, denke ich, und bin dankbar.
    Im gewöhnlich friedlichen Niemandsland zwischen halb und eigentlich gar nicht mehr auf dieser Welt überkommt mich plötzlich wieder großer Ärger: Wie schnell haben wir uns mit der Situation abgefunden, einfach Stadt-Land-Fluss und Was-hattest-du-eigentlich-heute-abend-vor gespielt! Dabei schweben wir in Lebensgefahr, haben es mit einem bewaffneten Psychopathen zu tun! Zentis hat recht, wir müssen jede Chance nutzen, den Kerl zu überwältigen oder irgendwie anders hier hinauszukommen. Sonst werde ich unter Umständen tot sein, noch bevor ich mich endgültig mit Celine versöhnt habe, werde in ihrer Erinnerung als rechthaberischer Spießer gestorben sein. Das will ich nicht.
    Selbst noch im Fast-Schlaf fällt es mir auf: Wieder bin ich mehr besorgt um mein Bild in der Nachwelt als um meinen Tod. Lieber sollte ich mir um die vielen Sprengstoffpäckchen an Wänden und Türen Sorgen machen, die unser Geiselnehmer gerade mit äußerster vorsichtigen Handgriffen überprüft, dabei bemüht, uns trotzdem in seinem Blickfeld zu behalten. Zum Schluss lässt er die Dinger noch aus Versehen hoch gehen! Ich beschließe, doch lieber noch eine Nacht wach zu bleiben.
    Dann ist Schluss mit der Illusion von Lagerfeuerromantik. Ein unangenehmer Piepton stetig zunehmender Frequenz erfüllt den Raum, um dann plötzlich abzubrechen. Dieser Vorgang wiederholt sich einige male. Danach blinken rote Leuchtdioden an den Sprengstoffpäckchen um die Wette mit denen an unseren Überwachungsmonitoren, beide mit gegensätzlicher Aufgabe. Der Sprengstoff ist auf automatische Auslösung gestellt – ich muss mich nicht mehr besonders anstrengen, wach zu bleiben. Kann ich mir doch in Ruhe vorstellen, was alles diese Automatik, zum Beispiel auch ungewollt, auslösen kann.

Tag zwei
    “Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte,

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